Keine amtliche Verteidigung für Bagatellfälle

Unser Mandant M. hat gesundheitliche Probleme. Zu allem Übel wird er nun auch noch der Ehrverletzung beschuldigt. Die Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten gestützt auf eine Strafanzeige die liebsten beiden Dinge im Leben von M.: PC und Handy.

M. beauftragt uns, ihm im Strafverfahren beizustehen. Da er eine Rente der IV bezieht, stellen wir den Antrag auf amtliche Verteidigung. Diese sieht das Gesetz insbesondere für Fälle vor, in denen der Beschuldigte (a.) selbst nicht über die nötigen Mittel verfügt, um sich eine Verteidigung zu leisten, und sich (b.) tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten stellen, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist. Bei einem besonders schweren Eingriff in die Rechte des Beschuldigten wird der Anspruch regelmäßig bejaht bzw. werden die Schwierigkeiten angenommen. Grundsätzlich nicht gewährt wird die amtliche Verteidigung in sog. Bagatellfällen, d.h. wenn dem Beschuldigten im Falle einer Verurteilung weniger als 4 Monate Freiheitsstrafe oder 120 Tagessätze Geldstrafe drohen (vgl. Art. 132 StPO). Das Bundesgericht hält dazu aber fest, dass der Schwellenwert nicht sakrosankt ist und es mitunter auch in sog. Bagatellfällen zur Wahrung der Verteidigungsrechte nötig sein kann, eine amtliche Verteidigung zu bestellen (vgl. BGE 143 I 164 ff.; Bundesgerichtsurteil  1B_318/2018 vom 28. September 2018, E. 2.3). Diese Rechtsprechung hängt auch mit der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammen, die auch die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten hervorhebt (vgl. EGMR Quaranta gegen Schweiz vom 24. Mai 1991, 12744/87Quaranta).

Die Aargauer Staatsanwaltschaft ist regelmäßig zurückhaltend und hält nicht viel von professioneller Verteidigung. So lehnt sie auch in diesem Fall das Gesuch ab. Die potentielle Strafe bewege sich im Bagatellbereich.

Da anhand der vorliegenden Informationen eine Einstellung oder ein Freispruch wahrscheinlich ist, kann immerhin damit gerechnet werden, dass die Verteidigungskosten im Rahmen der frei gewählten Verteidigung von der Staatskasse übernommen werden. Diesbezüglich ist die Praxis des obersten Gerichts erstaunlich großzügig: Ein Bürger, der sich mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert sieht, sucht sich schnell einmal die Hilfe eines Strafverteidigers. Diese Kosten der beschuldigten Person „für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte“ sind im Falle einer späteren Einstellung nach Art. 429 Abs. 1 StPO grundsätzlich vom Staat zu übernehmen (vgl. BGE 138 IV 197, 200 ff. E. 2.3). Entscheidend ist, ob die Mandatierung des Anwalts an sich und dessen konkreter Aufwand angemessen sind. Die Entschädigung ist deshalb häufig auch dann auszurichten, wenn kein Fall notwendiger oder gebotener amtlicher Verteidigung vorliegt.