Auch Ersatzmaßnahmen nur bei besonderem Haftgrund

A. beschuldigt ihren Mann B., sie am Telefon mit dem Tod bedroht zu haben. Er kommt in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ordnet ein Gefährlichkeitsgutachten an. Nach dessen Vorliegen stellt sie dem Zwangsmaßnahmengericht den Antrag, B. sei unter Anordnung von mehreren Ersatzmaßnahmen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Als amtliche notwendige Verteidigung beantragen wir, B. sei ohne Ersatzmaßnahmen umgehend in die Freiheit zu entlassen. Das Gefährlichkeitsgutachten verneine eine Ausführungsgefahr und die mögliche Wiederholungsgefahr scheitere am Vortatenerfordernis.

Das Zwangsmaßnahmengericht sieht es genauso und entlässt B. ohne Ersatzmaßnahmen in die Freiheit. B. werde eine günstige Prognose gestellt. Der Gutachter gehe nicht davon aus, dass B. seine Drohung umsetzen werde. In der spezifischen Täter-Opfer-Konstellation sei zwar mit weiteren heiklen Interaktionen zu rechnen. Doch B. sei nicht einschlägig vorbestraft und vorliegend rechtfertige es sich nicht, im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf das Vortatenerfordernis gänzlich zu verzichten und die Vortat ausschließlich aus dem aktuellen Strafverfahren abzuleiten (vgl. BGE 143 IV 9 ff.).

Untersuchungshaft als massiver Eingriff in die persönliche Freiheit ist nur zulässig, wenn ein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines Vergehens oder Verbrechens besteht und kumulativ einer der besonderen Haftgründe vorliegt (Verdunkelungsgefahr, Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr, Ausführungsgefahr; Art. 221 StPO). Wiederholungsgefahr setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass die beschuldigte Person bereits früher mindestens zwei gleichartige Taten begangen hat. Das Bundesgericht lässt jedoch je nach Schwere der Vorwürfe auch nur eine Vortat genügen oder akzeptiert, dass nicht frühere Taten, sondern die im aktuellen Verfahren zu untersuchende Tat als Vortat herangezogen wird, wenn eine Verurteilung sehr wahrscheinlich ist; in Extremfällen hat das Bundesgericht auch schon ganz auf das Vortatenerfordernis verzichtet, wenn eine sehr ungünstige Prognose besteht und die Freiheit des mutmaßlichen Täters für die Öffentlichkeit ein untragbares Risiko bedeuten würde (vgl. BGE 143 IV 9 ff.).

Fehlt es aber, wie hier, an der Wiederholungsgefahr, besteht kein Raum für Untersuchungshaft. Und sind die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht erfüllt, kommen Ersatzmaßnahmen von vornherein nicht in Frage. Ersatzmaßnahmen sind mildere Mittel, die denselben Zweck wie die Untersuchungshaft anstelle der Untersuchungshaft erreichen; die Anordnung von Ersatzmaßnahmen ist eine „lehrbuchartige“ Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl. Art. 237 StPO). Vorliegend wäre B. sogar bereit, freiwllig mehrere der verlangten Ersatzmaßnahmen wie z.B. Ein- und Ausgrenzung (vgl. Art. 237 Abs. 2 Bst. c StPO) zu befolgen, doch ist deren Anordnung im Rahmen strafprozessualer Zwangsmaßnahmen nicht zulässig.

Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr

Untersuchungshaft ist die einschneidenste Zwangsmaßnahme, die eine beschuldigte Person der Freiheit beraubt. Sie setzt einen dringenden Tatverdacht mit Bezug auf ein Vergehen oder Verbrechen sowie einen besonderen Haftgrund voraus. Ein solcher kann auch in der sog. Wiederholungsgefahr bestehen, d.h. wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass der Beschuldigte Drittpersonen durch die Begehung von schweren Vergehen oder Verbrechen erheblich gefährdet, nachdem er dies schon mehrfach getan hat (vgl. Art. 221 Abs. 1 StPO). Die U-Haft für Wiederholungsgefahr ist eigentlich systemfremd, da Zwangsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Beweise sichern und die Anwesenhait von Personen im Verfahren sowie die Vollstreckung von Urteil sicherstellen sollen (vgl. Art. 197 StPO), aber nicht der polizeiliche Prävention dienen.

In unserem Fall kämpften wir als notwendige amtliche Verteidigung (vgl. Art. 130 i.V.m. Art. 132 Abs. 1 Bst. a StPO) für X. gegen die Haftverlängerung. Nachdem, wie nicht anders zu erwarten war, die kantonale Justiz die Haftverlängerung abgesegnet hatte, wies das Bundesgericht im Urteil vom 19. Juli 2019 (1B_313/2019) eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen ab. Das oberste Gericht weist auf die drei Voraussetzung der Wiederholungsgefahr hin, die in casu erfüllt seien: Vortatenerfordernis, Gefährung der Sicherheit anderer durch Vergehen oder Verbrechen, negative Rückfallprognose. In der jüngeren Vergangenheit lockerte das Gericht seine Praxis, indem es neu nur noch eine schlechte und nicht mehr eine sehr schlechte Prognose verlangt. Die systematische Verletzung von Teilnahmerechten durch die Staatsanwaltschaft, die vorliegend zur Unverwertbarkeit auch des ersten Vorabgutachtens betreffend die Gefährlichkeit des Beschuldigten führen müsste, ließ das Bundesgericht weitgehend unkommentiert; dies zu beurteilen sei Aufgabe des Sachrichters. Es sei in Ordnung, dass X. nun mindestens bis zum Vorliegen des Hauptgutachtens in Untersuchungshaft belassen werde.