Vier-Augen-Delikt mit sieben Händen?

Vier-Augen-Delikte sind Taten, für die es neben den Aussagen der beiden Beteiligten keine weiteren Beweise gibt. Bei Sexualdelikten sind regelmäßig nur Täter und Opfer vorhanden, welche das Vorgefallene naturgemäß völlig unterschiedlich sehen und sich widersprechende Aussagen machen („Na klar hatten wir Sex, sie wollte es ja auch!“). In solchen Konstellationen kommt der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers und der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen hervorragende Bedeutung zu. Häufig muss die Glaubhaftigkeit mit einem aussagepsychologischen Gutachten abgeklärt werden (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_1251/2014 vom 1. Juni 2015). In unserem Fall kann das Gericht jedoch schnell selbst erkennen, dass die Story des „Opfers“ erstunken und erlogen ist.

Die 16-jährige Tochter wirft dem Vater vor, er hätte sie vor zwei Jahren sexuell missbraucht und mehrfach vergewaltigt. Schon der Zeitpunkt, in dem die „Story“ auftaucht, macht stutzig: auf dem Höhepunkt eines wüsten Eheschutzverfahrens der Eltern, die sich getrennt haben. Die Tochter hat massive psychische und schulische Probleme und ist unterdurchschnittlich intelligent. Sie ist auf Rache aus, nachdem der Vater angeblich eine Beziehung von ihr zu einem Jungen beendet hat. Dieser bestätigt später, dass die Tochter und deren Mutter angekündigt haben, den Vater fertigzumachen, damit er „in den Knast wandert“.

Bereits in den polizeilichen Befragungen verstrickt sich die Tochter in unauflösbare Widersprüche. Die angeblichen Übergriffe sollen frühmorgens in ihrem Zimmer stattgefunden haben. Sie will zunächst gehört haben, wie sich ihr Vater in ihr Zimmer schleicht, dann aber erst aufgewacht sein, nachdem er sich auf sie gesetzt hatte. Sie will zunächst nicht geschrien haben, um die anderen Familienmitglieder nicht zu wecken, dann will sie geschrien haben, worauf der Vater ihr den Mund zugehalten haben soll. Dieser soll ihr also mit einer Hand den Mund zugehalten, sie mit einer Hand gewürgt und mit zwei Händen an den Handgelenken festgehalten, dann mit einer weiteren Hand ein Kondom übergestülpt und schließlich in den Mund zu penetrieren versucht haben.

Dass da etwas nicht stimmt, wird schnell klar. Auch das Gericht merkt an, dass die Schilderungen so flach sind, dass das Tatgeschehen nicht rekonstruiert werden könne. In der Hauptverhandlung verweigert die Tochter die Aussage. Und just am Vortag sendet die Tochter dem Vater eine Freundschaftsanfrage über Facebook („Ich wollte mal schauen, wie er reagiert“). Im Zweifel wird deshalb der Vater freigesprochen.

Weshalb die Staatsanwaltschaft das erstinstanzliche Urteil noch mit Berufung ans Obergericht weiterzieht, das den Freispruch prompt bestätigt (vgl. SST.2016.223), bleibt freilich auch unklar.

(Bild: Stefan Meichssner, Seebad Kühlungsborn)