EU-Ausländerin kann ohne Erwerbstätigkeit in der Schweiz bleiben

Erneut können wir für eine Rentnerin eine Aufenthaltsbewilligung erwirken. Anders als im Aktuellen Fall vom 13. Oktober 2022 handelt es sich um eine Staatsangehörige aus der EU. Aus diesem Grund gehen die staatsvertraglichen Bestimmungen des Freizügigkeitsabkommens und seiner Anhänge vom 21. Juni 1999 (FZA) und der gestützt darauf erlassenen Ausführungsbestimmungen dem Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG) vor (vgl. Art. 2 Abs. 2 AIG).

Das MIKA erteilt auf Einsprache hin (vgl. § 7 f. Einführungsgesetz zum Ausländerrecht [EGAR]) die Bewilligung. Diese begründet es indessen nicht auf Art. 24 Anhang I des FZA und der Ausführungsbestimmung in Art. 16 der Verordnung über den freien Personenverkehr (VFP), wonach eine Staatsangehörige der EU subsidiär ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit eine Aufenthaltsbewilligung erhält, wenn sie über eine Krankenversicherung mit Abdeckung sämtlicher Risiken verfügt und den Nachweis erbringt, dass sie für sich selbst und ihre Familienangehörigen über ausreichende finanzielle Mittel verfügt, so dass sie nicht Sozialhilfe beziehen muss.

Vielmehr erteilt das MIKA die Bewilligung aus wichtigen Gründen gestützt auf Art. 20 VFP und Art. 30 Abs. 1 Bst. b AIG sowie Art. 31 VZAE. Insbesondere berücksichtig das Amt die gute Integration der Gesuchstellerin, ihre familiären Beziehungen zu den erwachsenen Kindern in der Schweiz und ihre frühere Aufenthaltsdauer von fast 20 Jahren mit entsprechender Einzahlung in die Vorsorgeeinrichtungen. Außerdem weist das Amt zu Recht darauf hin, dass bei den knappen finanziellen Mitteln zwar eine latente EL-Berechtigung bestehe, eine solche jedoch auch bei einer Niederlassungsbewilligung bestünde.

vgl. auch Ziff. 6 der Weisungen VFP.

 

Aufenthaltsbewilligung für nicht-erwerbstätige Rentnerin

Unsere Klientin ist eine ältere Frau der christlichen Minderheit aus dem Kosovo. Alle ihre Kinder sind entweder im jugoslawischen Bürgerkrieg getötet worden oder leben im Ausland, zwei Töchter mit ihren Familien in der Schweiz. Da die Frau jeweils während der Maximaldauer ihres Schengen-Visums in der Schweiz weilt und hier insbesondere ihre Enkel betreut, aber im Kosovo keine nahen Angehörigen mehr hat, sind wir beauftragt, für sie eine Aufenthaltsbewilligung zu erwirken.

Rentner können eine Aufenthaltsbewilligung erhalten, wenn sie mindestens 55 Jahre alt, besondere persönliche Beziehungen zur Schweiz besitzen und über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen (vgl. Art. 28 AIG; Art. 25 VZAE).

Die erste und letzte Voraussetzung sind bei unserer Klientin klar erfüllt. Insbesondere verfügen die beiden Kinder in der Schweiz mit ihren Erwerbseinkommen über hinreichende finanzielle Mittel für sich, ihre Familien und die nachzuziehende Mutter. Grundsätzlich müssen die Mittel die Grenze für die Berechtigung zum Bezug von Ergänzungsleistungen übersteigen (vgl. SEM, Weisungen AIG, Ausländerbereich, Stand 01. Oktober 2022, Rz. 5.3). Der Grundbedarf der Klientin reduziert sich, weil sie in der großen Wohnung einer ihrer Töchter leben kann.

Umstritten zwischen dem kantonalen Migrationsamt (MIKA) und uns ist die Voraussetzung der besonderen persönlichen Beziehungen. Wir stützen uns auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts, welches die Auffassung vertritt, dass  persönliche Beziehungen zu nahen Angehörigen in der Schweiz genügten (vgl. WBE.2014.348 vom 08. Juli 2015, E. 3; vgl. die strengere Praxis des SEM und des Bundesverwaltungsgerichts: SEM Weisungen Ausländerbereich, Stand 01. Oktober 2022, Ziff. 5.3, Urteil Bundesverwaltungsgericht F-6645/2019 vom 30. August 2021, E. 4.4). Vorliegend basiert der Bezug der Klientin zur Schweiz fast ausschließlich auf ihren sehr engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu ihren Familienangehörigen in der Schweiz, die alle über ein gefestigtes Aufenthaltsrecht bzw. über die Schweizer Staatsangehörigkeit verfügen und bestens integriert sind. Dies genügt dem Verwaltungsgericht, das schließlich die Beschwerde gutheißt.

Nach Rechtskraft muss das Staatssekretariat für Migration seine Zustimmung erteilen, was aufgrund der divergierenden Rechtsauffassungen nicht selbstverständlich ist (vgl. Art. 99 AIG; Art. 85 f. VZAE; Art. 2 ZV-EJPD).