Wenn der Verehrer zum Stalker wird

Stalking existiert im Schweizer Recht nach wie vor nicht. Gemäß Rechtsprechung kann jedoch intensives Stalking mit einer Vielzahl von Handlungen, die für sich isoliert betrachtet noch harmlos wären, zur Annahme von Nötigung führen (vgl. Art. 181 StGB). In diesem Fall, wenn die Handlungsfreiheit des Opfers eingeschränkt erscheint, nimmt die Gerichtspraxis beim Opfer eine „andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit“ an. Da diese aber eine ähnliche Intensität wie die beiden anderen Nötigungsvarianten – Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile – erreichen muss und weil die Strafnorm (zu) offen und sehr unbestimmt formuliert ist, darf Stalking nur sehr zurückhaltend zu einer Verurteilung wegen Nötigung führen (vgl. BGE 107 IV 113 ff. E. 3; BGE 129 IV 262 ff., cc). Andernfalls würde ein Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege vorliegen (vgl. Art. 1 StGB: „Eine Strafe oder Maßnahme darf nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt.“; Art. 7 EMRK).

In unserem Fall ist erstellt, dass der abgewiesene Mann seine Angebetete mehrmals hinter Hecken in ihrer Wohnung beobachtet und sie ein paar Mal mit dem Auto verfolgt hat. Außerdem hat er sie ein paar Minuten an der Wegfahrt behindert, ihr mehrere Liebesbriefe geschrieben und Blumen geschickt, sie im Mehrfamilienhaus bis zur Wohnungstüre verfolgt bzw. aufgesucht und ihr eine Zeitlang häufig Sprachnachrichten geschickt. Weil er ihr auch mehrmals am Arbeitsort aufgelauert war, musste sie zeitweise von einem Arbeitskollegen in die Tiefgarage begleitet werde.

Das Gericht folgt der Verteidigung, die in den Verhaltensweisen keine rechtswidrige Nötigung sieht, in der Sache nur teilweise. Es sieht die Grenze zur widerrechtlichen Persönlichkeitsverletzung überschritten und geht im Gesamtkontext von nötigenden Handlungen aus, die das üblicherweise zu duldende Maß überschreiten würden. Immerhin geht auch das Gericht davon aus, dass die Nötigungen nicht vollendet worden sind, da der eigentliche angestrebte Erfolg – die Rückgewinnung der Geliebten – ausblieb. Überdies lässt das Gericht bei dem zweimal einschlägig vorbestraften Mann insofern Milde walten, als es ihn „nur“ zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte 12 Monate unbedingt gefordert. Alle Parteien – Staatsanwaltschaft, beschuldigte Person und Privatklägerin – akzeptieren das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts.