Kosten trotz Einstellung des Strafverfahrens

Die Staatsanwaltschaft beschließt, das Vorverfahren gegen unseren Mandanten einzustellen. Weil die mutmaßlich geschädigte Person ihren Strafantrag zurückgezogen hat, kann bei den vorgeworfenen Antragsdelikten (konkret: Art. 179bis ff. StGB) eine Bestrafung nicht mehr erfolgen. Dadurch fehlt dauerhaft eine Prozessvoraussetzung (vgl. Art. 319 Abs. 1 Bst. b StPO).

Dennoch ist unser Mandant nicht ganz „reingewaschen“. Weil er durch sein Verhalten das Verfahren überhaupt erst veranlasst und die Geschädigte zum Stellen eines Strafantrags veranlasst hat, soll er einerseits einen Teil der Verfahrenskosten tragen und andererseits für seine Aufwendungen im Verfahren keine Entschädigung erhalten (vgl. Art. 426 Abs. 2 bzw. Art. 430 Abs. 1 Bst. a StPO). Diese Kostenregelung ist nicht unproblematisch und steht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung (vgl. Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 10 Abs. 1 StPO). Dennoch ist sie zulässig, wenn man dem Beschuldigten auf der zivilrechtlichen Ebene einen Vorwurf machen kann, d.h. der Vorwurf nicht auf ein strafrechtliches Verschulden abzielt. Dem Beschuldigten muss eine Verletzung von Art. 41 OR bzw. anderer zivilrechtlicher Normen wie Art. 28 ZGB oder weiterer Verhaltensnormen vorgeworfen werden können. Sein Verhalten muss das Strafverfahren veranlasst oder erschwert haben. Dabei darf sich die Kostenauflage lediglich auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_1394/2021, E. 2.2; BGE 144 IV 202, E. 2.2).

In unserem Fall sind die Voraussetzungen für eine solche Kostenregelung ausnahmsweise erfüllt bzw. erklärt sich der Mandant von sich aus damit einverstanden.

Vgl. auch „Verwirkt der Entschädigungsanspruch des Freigesprochenen? „(Blogg 13. Juni 2021)

Entschädigung auch, wenn Vater Anwaltsrechnung bezahlt

Lesen Sie ein Bundesgerichtsurteil (6B_997/2020) und unsere Bemerkungen dazu im Forumpoenale 6/2022.

Das oberste Gericht stellt klar, dass bei Einstellung bzw. Freispruch eines Strafverfahrens die dem Beschuldigten zustehende Entschädigung für die angemessen Ausübung ihrer Verfahrensrechte (vgl. Art. 429 StPO) nicht mit der Begründung verweigert werden kann, der Beschuldigte habe seinen Anwalt gar nicht selbst bezahlt.

Verwirkt der Entschädigungsanspruch des Freigesprochenen?

Wird ein Strafverfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen, hat er einen Anspruch auf eine Entschädigung für die Ausübung seiner Verteidigungsrechte (primär Anwaltskosten für frei gewählte Verteidigung) und wirtschaftliche Einbußen sowie auf eine Genugtuung für besonders schwere Persönlichkeitsverletzungen in kausalem Zusammenhang mit dem Strafverfahren. Die Strafbehörden haben den Anspruch von Amtes wegen zu prüfen und können den Beschuldigten auffordern, seine Ansprüche zu beziffern und zu begründen (vgl. Art. 429 StPO).

Das Bundesgericht vertritt die Auffassung, der Entschädigungs- bzw. Genugtuungsanspruch verwirke, d.h. gehe vollständig unter, wenn die beschuldigte Person trotz Aufforderung ihre Ansprüche nicht fristgerecht substantiiere. In einer neueren Entscheidung, die amtlich publiziert wurde, hält das oberste Gericht ausdrücklich daran fest (vgl. BGE 146 IV 332).

In seinem Aufsatz: „Verwirkung des Entschädigungsanspruchs nach Art. 429 StPO? – Besprechung von BGE 146 IV 332 „, analysiert und kritisiert Dr. Stefan Meichssner diese Rechtsprechung.

Der Aufsatz ist in der Fachzeitschrift forumpoenale 3/2021 (kostenpflichtig) erschienen. Sie können ihn auch hier lesen.