Das Bundesgericht stellt in einem zur Publikation bestimmten Urteil vom 6. Juli 2020 fest, dass in Zivilprozessen Hauptverhandlungen nicht per Videokonferenz durchgeführt werden dürfen. Das oberste Gericht weist auf die Bestimmungen von Art. 228 ff. ZPO zur Hauptverhandlung hin und unterstreicht den Grundsatz der öffentlichen Hauptverhandlung mit Anwesenheit der Parteien. Videoaufzeichnungen sind de lege lata als Hilfsmittel, aber nicht als kompletter Ersatz für eine Präsenzverhandlung zulässig. Ein Verzicht auf eine mündliche Hauptverhandlung ist nur mit Zustimmung aller Parteien möglich (Art. 233 ZPO). Ergänzend ist noch auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK hinzuweisen, der für Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche eine mündliche, öffentliche Verhandlung vorschreibt, wenn es eine Partei verlangt.
Angesichts der allgemeinen Corona-Hysterie geradezu wohltuend ist der Hinweis der 1. Zivilrechtliche Abteilung in Erwägung 5, dass keine Dringlichkeit für eine richterliche Lückenfüllung vorgelegen habe, eine Alternative zur mündlichen Hauptverhandlung zu suchen. Da in casu nicht anwendbar, kann sich das oberste Gericht indes um eine klare Positionierung zur Verordnung über Massnahmen in der Justiz und im Verfahrensrecht im Zusammenhang mit dem Coronavirus vom 16. April 2020 drücken. Immerhin tönt es an, dass es mit dem Bundesrat der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Justiz einen hohen Stellenwert beimisst und Verzichte auf Verhandlungen als absolute Ausnahmen betrachtet (vgl. dazu die Erläuterungen des Bundesrates). Die Verfassungsmäßigkeit der Notverordnung lässt das Bundesgericht aber (leider) ausdrücklich offen.
Wegen Corona werden die Rechtsunterworfenen zu „sozialer Distanz“ (ein Kandidat für das Unwort des Jahrzehnts) angehalten. Es erstaunt, dass die Repräsentanten des Staates Corona gerne zum Anlass nehmen, um auf noch viel größere Distanz zum Bürger zu gehen. Sinnbildlich dafür steht der Abbruch der Frühjahrssession durch das Bundesparlament. Oder eben die richterliche Angst, den Parteien im Gerichtssaal zu begegnen. Diese Entwicklung untergräbt das Vertrauen in den Staat.
Am Rande bemerkt: Erwähnenswert scheint der Hinweis der vorinstanzlichen Richterin, die Parteien müssten ihr Plädoyer vorgängig per E-Mail einreichen. In einem Plädoyer soll auch zum Beweisergebnis Stellung bezogen werden, das erst an der Hauptverhandlung vorliegt. Von daher ist es gar nicht möglich, vorgängig ein fixfertiges Plädoyer einzureichen. Es soll zwar Anwälte geben, die das schaffen und dann vor Gericht stundenlang ihre schriftlichen Verlautbarungen vorlesen, ohne jemals in die Runde zu blicken. Doch damit „gefällt“ (se plaire) man dem Zuhörer nicht, abgesehen davon ist es ein rhetorisches No-go, einen schriftlichen Text ohne jegliche Spontaneität, ohne mündliche Auflockerungen, ohne Gestik und Mimik, stammelnd eins zu eins wiederzugeben.