Gehilfe als Täter

Unser Klient ist angeklagt des qualifizierten Handels mit Betäubungsmitteln, indem er willentlich und wissentlich die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr brachte (vgl. Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG). Obwohl er klar nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, wird er als Täter verurteilt. Es nützt ihm nichts, dass sein Kollege den Handel mit Kokain organisierte, die Drogen besorgte, mit den Abnehmern in Kontakt stand und unseren Klienten vor allem als Kurier einsetzte. Dieser wusste um die Machenschaften und nahm so am Handel teil. Zudem wohnte er zusammen mit seinem Kumpel.  Im Betäubungsmittelstrafrecht werden auch geringfügige Beteiligungen nicht milder als Gehilfenschaft oder Anstiftung bestraft. Vielmehr wird praktisch jeder, der irgendwie mitmacht, als „Täter“ betrachtet. Ab 20 Gramm reinen Kokains nimmt die Praxis grundsätzlich einen qualifizierten Fall an, der mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr geahndet wird (vgl. Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG). So kommt es denn auch in unserem Fall.

Freilassung aus U-Haft wegen drohender Überhaft

Unsere Mandantin war zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie saß bei ihrem Vater während einer verdeckten Fahndung der Polizei im Auto. Als das Drogengeschäft mit 30 Gramm Kokain mit der „falschen“ Drogenkäuferin abgeschlossen war, erfolgte der Zugriff. Auch unsere Mandantin, die bei dem Geschäft auf Anweisung ihres Vaters einzig die Tüte mit dem ihr nicht genau bekannten Inhalt nach hinten gereicht hatte, wurde festgenommen und kam in Untersuchungshaft.

Das Zwangsmaßnahmengericht bewilligte ein erstes Mal die von der Staatsanwaltschaft beantragte Untersuchungshaft. Der dringende Tatverdacht eines qualifizierten Betäubungsmitteldelikts nach Art. 19 Abs. 2 BetmG sei genauso gegeben wie die Fluchtgefahr. Immerhin genehmigte das Gericht schon beim ersten Mal die Haft nur für zwei Monate anstatt der üblichen drei Monate.

Trotz Bemühen der Verteidigung war die Staatsanwaltschaft nach zwei Monaten nicht bereit, die Beschuldigte freizulassen und ihr „nur“ eine geringfügige Gehilfenschaft anzulasten. So wehren wir uns nun gegen das Haftverlängerungsgesuch, das im schriftlichen Verfahren gemäß Art. 227 Abs. 6 StPO geprüft wird. Den Einwand, der Verlängerungsantrag sei erst 3 Tage vor Haftende und damit im Hinblick auf Art. 227 Abs. 2 StPO zu spät erfolgt, akzeptiert das Zwangsmaßnahmengericht zwar. Doch es betrachtet die Frist als bloße Ordnungsvorschrift, deren Verletzung keine Folgen zeitige, solange wie hier die Haft provisorisch vor Ablauf der genehmigten Frist von 2 Monaten verlängert und über das Verlängerungsgesuch gemäß Art. 227 Abs. 5 StPO innerhalb von 5 Tagen definitiv entschieden werde (vgl. dazu auch BGE 137 IV 92 ff.).

Das Gericht folgt im Verlängerungsentscheid in materieller Hinsicht weitgehend der Verteidigung. Die Tat der beschuldigten Tochter sei mit großer Wahrscheinlichkeit höchstens eine Gehilfenschaft zum Betäubungsmitteldelikt des Vaters, so dass nicht die übliche 1-jährige minimale Freiheitsstrafe von Art. 19 Abs. 2 BetmG zur Anwendung komme.  Die Tochter sei nicht vorbestraft. Es sei mit einer bedingten Strafe zu rechnen, was zwar gemäß bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht entscheidend sei (vgl. BGE 133 I 270 ff. und Urteil 1B_283/2015). Wichtig sei aber, dass mit einer bedingten Entlassung nach zwei Drittel der reduzierten Freiheitsstrafe gerechnet werden könne. Angesichts dieser Umstände drohe im konkreten Fall bei einer Verlängerung der Untersuchungshaft sog. Überhaft. In Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips und in Anwendung von Art. 212 Abs. 3 StPO wird daher die Beschuldigte freigelassen.

Unsere Mandantin wird innerhalb einer Stunde freigelassen – und setzt sich prompt ins Ausland ab.

(Foto: Auf dem Laugavegur Richtung Thorsmörk, mit Eyjafjallajökull, by Stefan Meichssner, August 2017)