Was, wenn der Täter aus dem Strafvollzug entlassen wird?

Opfer von Gewalt- und Sexualverbrechen schauen dem Tag mit Besorgnis entgegen, an dem ihr Peiniger aus dem Strafvollzug entlassen wird. Dies gilt in besonderem Maße in unserem Fall, wo der verurteilte Täter als anerkannter Flüchtling in der Nähe des Wohnorts unserer Mandantin untergebracht ist und die gerichtlich ausgesprochene Landesverweisung wahrscheinlich nicht vollzogen werden kann. Die Mandantin will dem Mann nach einer versuchten Vergewaltigung nicht mehr begegnen, wenn er die dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe abgesessen hat.

Nebst zivilrechtlichen Möglichkeiten steht der Frau das Informationsrecht gemäß Art. 92a StGB bzw. § 50 EG StPO zu. Danach sind Opfer und ihre Angehörige von der Vollzugsbehörde auf Gesuch hin über den Zeitpunkt u.a. der bedingten oder definitiven Entlassung oder über eine Flucht des Verurteilten zu informieren. In unserem Fall kommt das Amt für Justizvollzug gestützt auf unseren Antrag und nach Anhörung des Verurteilten zum Schluss, dass die Interessen des Opfers an einer Information das Interesse des Verurteilten überwiegen.

Verwirkt der Entschädigungsanspruch des Freigesprochenen?

Wird ein Strafverfahren eingestellt oder der Beschuldigte freigesprochen, hat er einen Anspruch auf eine Entschädigung für die Ausübung seiner Verteidigungsrechte (primär Anwaltskosten für frei gewählte Verteidigung) und wirtschaftliche Einbußen sowie auf eine Genugtuung für besonders schwere Persönlichkeitsverletzungen in kausalem Zusammenhang mit dem Strafverfahren. Die Strafbehörden haben den Anspruch von Amtes wegen zu prüfen und können den Beschuldigten auffordern, seine Ansprüche zu beziffern und zu begründen (vgl. Art. 429 StPO).

Das Bundesgericht vertritt die Auffassung, der Entschädigungs- bzw. Genugtuungsanspruch verwirke, d.h. gehe vollständig unter, wenn die beschuldigte Person trotz Aufforderung ihre Ansprüche nicht fristgerecht substantiiere. In einer neueren Entscheidung, die amtlich publiziert wurde, hält das oberste Gericht ausdrücklich daran fest (vgl. BGE 146 IV 332).

In seinem Aufsatz: „Verwirkung des Entschädigungsanspruchs nach Art. 429 StPO? – Besprechung von BGE 146 IV 332 „, analysiert und kritisiert Dr. Stefan Meichssner diese Rechtsprechung.

Der Aufsatz ist in der Fachzeitschrift forumpoenale 3/2021 (kostenpflichtig) erschienen. Sie können ihn auch hier lesen.

Einvernehmliche Anpassung des nachehelichen Unterhalts

Ein Unglück kommt selten allein. Zuerst verliert unser Mandant nach fast drei Jahrzehnten seine Arbeitsstelle in einem großen Unternehmen. Danach flattert ihm eine einstweilige Verfügung ins Haus, die ihn verpflichtet, den kapitalisierten nachehelichen Unterhalt gemäß einem früheren Scheidungsurteil an seine Ex-Frau auf einmal sicherzustellen. Die Ex-Frau hatte behauptet, er wolle sich in sein Heimatland in Osteuropa absetzen, nachdem er hier seinen Job verloren habe. Ihr Anspruch sei daher wegen der drohenden Flucht und Beiseiteschaffung von Vermögenswerten gefährdet (vgl. Art. 132 ZGB). Das Gericht heißt den Antrag überraschend im Sinne einer superprovisorischen Anordnung von vorsorglichen Maßnahmen gut (vgl. Art. 261 ff. ZPO).

Zwar stimmt die behauptete Flucht nicht und der Mandant hätte gute Chancen, vor Gericht die Abweisung der beantragten und bloß superprovisorisch angeordneten Sicherstellung zu erreichen.

Doch er macht aus der Not eine Tugend: Vom Arbeitgeber vor die Wahl gestellt, entscheidet er sich für die Entlassung mit einer großzügigen Abgangsentschädigung (anstatt Frühpensionierung ohne Entschädigung, aber mit besserer Rente). Abklärungen bei der Steuerbehörde ergeben, dass die Entschädigung als vorsorgeähnlich eingestuft wird und daher steuerlich privilegiert ist. Dies gibt ihm die Möglichkeit, sich mit der Ex-Frau zu vergleichen und sich seiner Unterhaltspflicht  mit einer neu verhandelten Einmalzahlung  zu entledigen. Eine solche einvernehmliche Abänderung eines Scheidungsurteils betreffend den nachehelichen Unterhalt ist mit einfacher Schriftlichkeit zulässig, muss also nicht gerichtlich abgesegnet werden (vgl. Art. 284 Abs. 2 ZPO).

Die Reduktion des Betrages wiegt die steuerlichen Nachteile bei einer Einmalzahlung des Unterhalts (keine Abzugsmöglichkeit wie bei periodischen Leistungen; vgl. § 40 Abs. 1 StG/AG) teilweise auf und die Sache ist für den Mandanten endgültig und mit tiefen Prozesskosten erledigt.