Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS) in der Unfallversicherung

Das CRPS ist ein Sammelbegriff für Krankheitsbilder, die die Extremitäten betreffen. Es entwickelt sich nach einem schädigenden Ereignis (z.B. einem Unfall) und führt bei den Betroffenen zu anhaltenden Schmerzen mit Störungen des vegetativen Nervensystems, der Sensibilität und der Motorik. Das CRPS ist eine neurologisch-orthopädisch-traumatologische Erkrankung und ein organischer bzw. körperlicher Gesundheitsschaden (vgl. BGer 8C_698/2021 E. 4.2). Die Ätiologie und Pathogenese des CRPS sind unklar. Es ist als neurologisch-orthopädisch-traumatologische Erkrankung als organischer bzw. körperlicher Gesundheitsschaden zu qualifizieren. Dabei ist nicht erforderlich, dass die Diagnose innerhalb von sechs bis acht Monaten nach dem Unfall gestellt wird, um sie als unfallbedingt anzusehen. Entscheidend ist, dass anhand echtzeitlich erhobener medizinischer Befunde der Schluss gezogen werden kann, die betroffene Person habe innerhalb der Latenzzeit von sechs bis acht Wochen nach dem Unfall zumindest teilweise an den für ein CRPS typischen Symptomen gelitten (vgl. BGer 8C_628/2023 E. 3.1; SVR 2023 UV Nr. 48 S. 169, 8C_1/2023 E. 7.2). Ob ein CRPS vorliegt, ist anhand der sog. Budapest-Kriterien zu prüfen (SVR 2021 UV Nr. 9 S. 48, 8C_416/2019 E. 5.1; Urteil 8C_234/2023 vom 12. Dezember 2023 E. 3.2 mit Hinweis). Anhand dieser Kriterien soll entschieden werden können, ob ein CRPS mit überwiegender Wahrscheinschlichkeit vorliegt. Anhaltender Schmerz, der in keinem Verhältnis zum ursprünglichen Ereignis steht. Mindestens ein Symptom in drei (klinischen Kriterien) oder vier (Forschungskriterien) der folgenden vier Kategorien: Sensorik: Der Patient beschreibt Schmerzen, die auf Hyperpathie und/oder Allodynie hinweisen Vasomotorik: Die Patientin beschreibt eine Temperaturasymetrie und/oder eine Farbveränderung und/oder eine Farbasymmetrie Sudomotorik/Ödem: Der Patient beschreibt Ödeme und/oder eine Asymmetrie beim Schwitzen Motorik/Trophik: Die Patientin beschreibt eine Steifheit und/oder eine motorische Dyskunktion (Schwäche, Zittern, Dystonie) und/oder trophische Veränderungen (Haare, Nägel, Haut) Mindestens ein Zeichen in zwei der folgenden Kategorien (klinische Kriterien und Forschung): Sensorik: Bestätigung einer Hyperpathie und/oder Allodynie Vasomotorik: Bestätigung der Temperaturasymmetrie und/oder Farbveränderung und/oder Farbasymmetrie Sudomotorik/Ödem: Bestätigung eines Ödems und/oder eine Schweissasymmetrie Motorik/Trophik: Bestätigung einer Steifheit und/oder einer motorischen Dysfunktion (Schwäche, Zittern, Dystonie) und/oder einer trophischen Veränderung (Haare, Nägel, Haut) Es gibt keine andere Diagnose, die die klinischen Symptome und Anzeichen überzeugender erklären. Voraussetzung für die korrekte Diagnosestellung ist zudem, dass anhand echtzeitlich erhobener medizinischer Befunde der Schluss gezogen werden kann, die betroffene Person habe innerhalb einer Latenzzeit von sechs bis acht Wochen nach dem Unfall zumindest teilweise an den für ein CRPS typischen Symptomen gelitten (vgl. BGer 8C_672/2022 mit weiteren Hinweisen). Die genannten Budapest-Kriterien sind ausschliesslich klinisch und lassen wenig Spielraum für radiologische Untersuchungen (Radiographie, Szintigraphie, MRT). Der Einsatz der Bildgebung wird in der medizinischen Fachwelt kontrovers diskutiert, spielt aber insbesondere bei der Suche nach Differenzialdiagnosen oder bei diskreten oder unvollständigen klinischen Symptomen sowie bei bestimmten atypischen Formen weiterhin eine Rolle (vgl. BGer 8C_416/2019, E. 5.1). Fazit: Entscheidend ist die echtzeitliche medizinische Dokumentation der Budapester-Kriterien durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Die Budapest-Kriterien müssen mit dem im Sozialversicherungsrecht massgebenden Beweismass der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erfüllt sein. Schliesst der Unfallversicherer bzw. die zuständige versicherungsinterne Ärztin die Budapest-Kriterien nach reinem Aktenstudium aus, reichen bereits geringe Zweifel am versicherungsinternen Arztbericht, damit das Versicherungsgericht weitere, ergänzende medizinische Abklärungen anordnet.  

Aktengutachten im Sozialversicherungsverfahren

Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) verneint weitere Taggeldleistungen, nachdem sie die Fußbeschwerden unseren Mandanten als nicht unfallkausal eingestuft hat. Allerdings verfügt der zuständige Kreisarzt nicht über die notwendige fachärztliche Expertise, so dass er einen externen Facharzt mit einer Aktenbeurteilung beauftragt. Der Versicherte erhält vorgängig keine Gelegenheit, seine Verfahrensrechte nach Art. 44 ATSG wahrzunehmen und sich insbesondere zur Person des Gutachters zu äußern.

Im anschließenden Beschwerdeverfahren stellt sich die insbesondere die Frage, ob extern eingeholte Aktenbeurteilungen als Gutachten gelten oder als bloße versicherungsinterne Stellungnahmen. Im Falle eines Gutachtens hätte die Suva als Sozialversicherer die Verfahrensrechte des Versicherten zu beachten. Die Suva geht von einem internen Bericht aus. Das Gericht lässt in casu die Frage offen. Es stellt aber dennoch auf den externen Bericht ab. Das Gericht sieht den (zwar herabgesetzten) Beweiswert der fachärztlichen Aktenbeurteilung im Sinne einer versicherungsinternen Stellungnahme gegeben und schützt auch gestützt darauf die Leistungseinstellung durch die Suva.

Wenn die Behörde nichts tut, verweigert sie das Recht

Das Pflegeheim X. versichert seine Arbeitnehmer bei der Versicherung Y. gegen das Unfallrisiko.  Nachdem der Rahmenvertrag mit dem Broker weggefallen ist, unterbreitet Y. dem Pflegeheim X. einen neuen Vertrag mit schlechteren Konditionen. Eine Kündigung von X. akzeptiert Y. mit dem Hinweis nicht, bei Wegfall des Rahmenvertrages gebe es kein Kündigungsrecht. Von X. mandatiert, fordern wir Y. auf, die neuen Konditionen zu verfügen, soweit sie den obligatorischen Teil der Unfallversicherung betreffen. Wir verweisen auf Art. 124 Bst. d der Unfallversicherungsverordnung (UVV), der als lex specialis zu Art. 49 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) eine Verfügungspflicht für die Änderung in der Einreihung eines Betriebes in die Prämientarife vorsieht.

Y. verweigert aber ausdrücklich eine Verfügung. Deshalb erheben wir so genannte Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Das Recht verweigert eine Behörde, die es ausdrücklich oder stillschweigend unterlässt, eine Verfügung zu erlassen, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. In diesem Fall begeht sie eine formelle Rechtsverweigerung, gegen die sich der Betroffene wehren kann (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 56 Abs. 2 ATSG).

Das Gericht heißt die Beschwerde mit Urteil vom 13. Februar 2017 gut (C-5148_2016). Es verwirft die Einwände von Y., welche die Modalitäten dem Privatrecht unterstellen will. Das Gesetz sehe für vorliegenden Sachverhalt eine Pflicht zur Verfügung vor. Speziell zu erwähnen ist, dass Y., immerhin eine große Schweizer Versicherungsgesellschaft, trotz Hinweis auf die Säumnisfolgen weder dem Gericht die Akten eingereicht noch sich hat vernehmen lassen.

(Bild: Stefan Meichssner, Am Strand von Ahlbeck/Swinemünde, Usedom)