Aufsichtsanzeige als bloßer Rechtsbehelf

Jede Person kann jederzeit Tatsachen, die im öffentlichen Interesse ein Einschreiten von Amtes wegen gegen Behörden und deren Mitarbeitende erfordern, der Aufsichtsbehörde anzeigen (vgl. § 38 VRPG/AG). In unserem Fall hat dies X. selbst beim kantonalen Departement gemacht, um die Untätigkeit der kommunalen Bauverwaltung bzw. des Gemeinderates als Baupolizeibehörde zu rügen. Konkret geht es um eine Kleinbaute in der Nachbarschaft, die vor ein paar Jahren zu nahe an der Grenze und ohne Baubewilligung erstellt wurde.

Wir klären ihn über die Aufsichtsanzeige auf. Insbesondere ist die Aufsichtsanzeige kein förmliches Rechtsmittel, das dem Betroffenen Parteirechte einräumt. Wenn immer möglich, sollte daher eine Verfügung verlangt werden, die man anschließend mit Anspruch auf Behandlung weiterziehen kann. Denn der Entscheid über eine Aufsichtsanzeige kann mangels Parteirechten nicht mit Beschwerde (vgl. §§ 41 ff. VRPG/AG) angefochten werden, sondern dagegen kann wiederum nur Aufsichtsanzeige an die nächsthöhere Verwaltungsbehörde geführt werden.

Die Aufsichtsanzeige hat immerhin eine „gute“ Seite: Das Verfahren ist unentgeltlich, außer die Anzeige wäre leichtfertig oder böswillig eingereicht worden. Außerdem kann der Anzeiger eine „Beantwortung“ erwarten (vgl. § 38 Abs. 2 und Abs. 3 VRPG/AG).

Aktengutachten im Sozialversicherungsverfahren

Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) verneint weitere Taggeldleistungen, nachdem sie die Fußbeschwerden unseren Mandanten als nicht unfallkausal eingestuft hat. Allerdings verfügt der zuständige Kreisarzt nicht über die notwendige fachärztliche Expertise, so dass er einen externen Facharzt mit einer Aktenbeurteilung beauftragt. Der Versicherte erhält vorgängig keine Gelegenheit, seine Verfahrensrechte nach Art. 44 ATSG wahrzunehmen und sich insbesondere zur Person des Gutachters zu äußern.

Im anschließenden Beschwerdeverfahren stellt sich die insbesondere die Frage, ob extern eingeholte Aktenbeurteilungen als Gutachten gelten oder als bloße versicherungsinterne Stellungnahmen. Im Falle eines Gutachtens hätte die Suva als Sozialversicherer die Verfahrensrechte des Versicherten zu beachten. Die Suva geht von einem internen Bericht aus. Das Gericht lässt in casu die Frage offen. Es stellt aber dennoch auf den externen Bericht ab. Das Gericht sieht den (zwar herabgesetzten) Beweiswert der fachärztlichen Aktenbeurteilung im Sinne einer versicherungsinternen Stellungnahme gegeben und schützt auch gestützt darauf die Leistungseinstellung durch die Suva.

Mit Einspracherückzug der Staatsanwaltschaft zuvorgekommen

Unser Klient erhält einen Strafbefehl, mit dem er für diverse Straftaten zu einer Geldstrafe verurteilt wird. Weil er die Straftaten während der Probezeit für frühere Verurteilungen begangen hat, handelt es sich um eine unbedingt ausgefällte Gesamtstrafe. Nachdem wir an der Schuldfähigkeit Zweifel haben, erheben wir Einsprache gegen den Strafbefehl, lassen uns zum amtlichen Verteidiger ernennen und beantragen die gutachterliche Abklärung der Schuldfähigkeit (Art. 20 StGB).

Nach Vorliegen des Gutachtens stellt uns dieses die Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme zu. Das Gutachten verneint wenig überraschend die Schuldfähigkeit komplett. Weil der Klient jedoch unter keinen Umständen in die gutachterlich vorgeschlagene stationäre Maßnahme unbekannter Dauer will, ziehen wir die Einsprache zurück. Das will nun die Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren und sie stellt mittels Verfügung die Wirkungslosigkeit der Einsprache fest.

Die dagegen erhobene Beschwerde (vgl. Art. 393 ff. StPO) heißt die Beschwerdekammer des Obergerichts gut. Es schließt sich unserer Auffassung an, wonach die Einsprache solange zurückgezogen werden kann, bis sich die Staatsanwaltschaft gemäß Art. 355 Abs. 3 StPO gegen eine Anklage entschieden hat. Würde sie, was dem Normalfall entspricht, mittels Überweisung Anklage erheben, könnte die Einsprache sogar noch an der Hauptverhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht zurückgezogen werden (vgl. Art. 356 Abs. 3 StPO). Hier war wohl ein Antrag auf ein selbständiges Maßnahmeverfahren gegen Schuldunfähige naheliegend (vgl. Art. 374 f. StPO), doch hatte sich die Staatsanwaltschaft dazu im Zeitpunkt des Einspracherückzugs noch gar nicht entschieden. Die Staatsanwaltschaft machte nichts anderes als ihre ursprünglich fehlerhafte Verfügung (Strafbefehl trotz Schuldunfähigkeit) in Wiedererwägung zu ziehen, was im Strafprozessrecht grundsätzlich nicht zulässig ist.

Wenn die Behörde nichts tut, verweigert sie das Recht

Das Pflegeheim X. versichert seine Arbeitnehmer bei der Versicherung Y. gegen das Unfallrisiko.  Nachdem der Rahmenvertrag mit dem Broker weggefallen ist, unterbreitet Y. dem Pflegeheim X. einen neuen Vertrag mit schlechteren Konditionen. Eine Kündigung von X. akzeptiert Y. mit dem Hinweis nicht, bei Wegfall des Rahmenvertrages gebe es kein Kündigungsrecht. Von X. mandatiert, fordern wir Y. auf, die neuen Konditionen zu verfügen, soweit sie den obligatorischen Teil der Unfallversicherung betreffen. Wir verweisen auf Art. 124 Bst. d der Unfallversicherungsverordnung (UVV), der als lex specialis zu Art. 49 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) eine Verfügungspflicht für die Änderung in der Einreihung eines Betriebes in die Prämientarife vorsieht.

Y. verweigert aber ausdrücklich eine Verfügung. Deshalb erheben wir so genannte Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Das Recht verweigert eine Behörde, die es ausdrücklich oder stillschweigend unterlässt, eine Verfügung zu erlassen, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. In diesem Fall begeht sie eine formelle Rechtsverweigerung, gegen die sich der Betroffene wehren kann (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 56 Abs. 2 ATSG).

Das Gericht heißt die Beschwerde mit Urteil vom 13. Februar 2017 gut (C-5148_2016). Es verwirft die Einwände von Y., welche die Modalitäten dem Privatrecht unterstellen will. Das Gesetz sehe für vorliegenden Sachverhalt eine Pflicht zur Verfügung vor. Speziell zu erwähnen ist, dass Y., immerhin eine große Schweizer Versicherungsgesellschaft, trotz Hinweis auf die Säumnisfolgen weder dem Gericht die Akten eingereicht noch sich hat vernehmen lassen.

(Bild: Stefan Meichssner, Am Strand von Ahlbeck/Swinemünde, Usedom)