Strafverfahren wegen versuchtem Kuss

Die Eheleute A. sind seit ein paar Monaten getrennt. Die Frau lässt keine Gelegenheit aus, ihren Mann zu schikanieren und zu demütigen. Regelmäßig kommt es bei der Übergabe des Sohnes zu wüsten Szenen. Mit einem dieser Vorfälle musste sich die Polizei, die Opferhilfe, die Staatsanwältin, der Verteidiger und das Gericht beschäftigen. Ein Wunder, dass nicht auch noch die Presse diesen Fall aufgriff. Das kam so.

Der Mann beschließt nach ausgeübtem Besuchsrecht, zusammen mit dem gemeinsamen Sohn seine Noch-Frau zu überraschen. Anstatt den Sohn zu Hause abzuliefern, will er ihn direkt der Frau übergeben. Die Frau arbeitet als Verkäuferin bei einem Discounter. Der Sohn rennt nach Schichtende im Parkhaus auf seine wenig begeisterte Mutter zu und umarmt sie. Der Mann meint, er dürfe das auch, fasst seine Frau an den Oberarmen und umarmt sie ebenfalls. Das mag sie aber nicht, sie stößt ihn weg. Der Kuss, den der Mann eigentlich geplant hatte, kommt folglich nicht zustande. Wie eine Furie steigt die Frau daraufhin mit dem Sohn ins Auto und versucht wegzufahren. Beim Ausparken rammt sie den Pfeiler, was ihre Stimmung nicht gerade hebt.  Weil sich die Frau anschließend nicht mehr meldet, macht sich der Mann Sorgen und meldet sich bei der Polizei.

Das hätte er besser sein lassen. Die Ermittlungen führen nämlich zu einem Strafbefehl wegen Tätlichkeiten (Art. 126 StGB) und sexueller Belästigung (Art. 198 StGB). Auf unser Anraten erhebt der Mann selbst erst einmal Einsprache gegen den Strafbefehl, wozu ein kurzes Einschreiben innerhalb von zehn Tagen genügt; als beschuldigte Person muss der Mann seine Einsprache nicht begründen (Art. 354 StPO).

Wie fast immer in solchen Fällen überweist die Staatsanwaltschaft daraufhin den Strafbefehl ans Gericht. Mit der Verteidigung beauftragt, verlangen wir für die Hauptverhandlung die Einvernahme der Frau als Straf- und Zivilklägerin (Art. 338 Abs. 1 StPO). Unter Hinweis auf die Befragung im Vorverfahren wird die Frau indes von der Teilnahme an der Hauptverhandlung freigestellt. Dennoch endet die Hauptverhandlung mit einem Freispruch für den Mann. Zwar ist das Gericht vom Auftreten des Mannes alles andere als begeistert. Es findet sein Verhalten am Tattag provokativ, weil er eigentlich aufgrund der Vorgeschichte habe wissen müsse, dass seine Frau solche Avancen nicht wünsche. Dennoch sieht das Gericht, wie die Verteidigung,  die Grenze zur sexuellen Belästigung als nicht überschritten. Ein objektiver Betrachter erkenne in dem Vorfall keinen sexuellen Bezug. Und ein versuchter Kuss sei nicht strafbar, weil Tätlichkeiten bzw. sexuelle Belästigungen als Übertretungen nur strafbar sind, wenn sie vollendet werden (vgl. Art. 105 Abs. 2 StGB).

 

Mediation – der günstige und selbstbestimmte Weg zur Konfliktbeilegung

Gerichtsverfahren bringen selten den erwünschten Erfolg. Bei familienrechtlichen Streitigkeiten gibt es letztlich nur „lose-lose“-Situationen. Selbst bei Forderungsangelegenheiten  sind Gerichtsverfahren schon wegen der Kosten und der Dauer belastend und auch bei guter Ausgangslage risikobehaftet. Der Staat schafft es mit seiner trägen und teuren Justiz immer weniger, den Rechtssuchenden innerhalb nützlicher Zeit für moderate Gebühren eine pragmatische Lösung anzubieten. Für viele Anwälte steht das Honorar im Vordergrund, das sich häufig nach dem Zeitaufwand berechnet, was gegen schnelle Lösungen spricht. Auch ein normaler Prozess kann über mehrere Instanzen mehrere Jahre dauern.

Als Alternative bietet sich die Mediation an. Mediation meint strukturiertes, freiwilliges Verfahren zur konstruktiven Beilegung eines Konfliktes, bei dem unabhängige Dritte die Konfliktparteien in ihrem Lösungsprozess begleiten. Die Konfliktparteien versuchen dabei, zu einer gemeinsamen Vereinbarung zu gelangen, die ihren Bedürfnissen und Interessen entspricht. Der Dritte trifft keine eigenen Entscheidungen bezüglich des Konflikts, sondern ist lediglich für das Verfahren verantwortlich. Ob und in welcher Form ein Mediator selbst überhaupt inhaltliche Lösungsvorschläge macht, ist je nach Ausrichtung der Mediation unterschiedlich.

In einem Fall mit einem Ehepaar mit mehreren Kindern konnten wir im Rahmen der Mediation eine umfassende Scheidungskonvention außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erzielen. Die Eheleute trafen sich in mehreren Sitzungen unter unserer Anleitung. Wir vermittelten zwischen den unterschiedlichen Positionen und führten die Eheleute an die Lösung der zu regelnden Punkte wie Kinder, Unterhalt und Güterrecht heran. Für das Haus konnte mit Einbezug der Bank und Pensionskasse und unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der minderjährigen Kinder eine zweckmäßige Lösung über den Tag der Scheidung hinaus gefunden werden. Auch wenn wir aufgrund unseres juristischen Sachverstands Lösungsvorschläge machten, waren es stets die Eheleute, die ohne äußeren Druck durch Gegenanwalt und Gericht gemeinsam entschieden. So entstand eine „win-win“-Situation, bei der wir ganz am Schluss die von beiden unterzeichnete Scheidungskonvention beim Gericht einreichen konnten. Das Gericht musste die Konvention zu einer reduzierten Gebühr „nur“ noch absegnen; zu der Anhörung mussten wir unsere Mandanten nicht einmal begleiten.

Die Kosten sind zwar auf den ersten Blick hoch – mehr als ein durchschnittliches Monatsgehalt -, doch in Relation zu den potentiellen Kosten in einem streitigen Verfahren mit zwei Anwälten über mehrere Instanzen sind sie gering – und vor allem von den Parteien selbst steuerbar.

(Foto: Stefan Meichssner, Athabasca Falls, Alberta/Canada, Oct. 2003)

1, 2 oder 3? Welcher Bruder darf’s denn sein?

Fritz ist leidenschaftlicher Motorradfahrer. Ab und an fährt er auch richtig zackig, wovon das Administrativmaßnahmenregister eindrückliches Zeugnis ablegt. Eines schönen Abends soll er in Basel mit 76 km/h netto und damit 26 km/h zu schnell geblitzt worden sein. Das stellt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Regel eine grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG dar.

Zunächst gehen die Strafverfolgungsbehörden allerdings davon aus, dass Fritz‘ Vater der Täter ist, da das Motorrad auf ihn zugelassen ist. Der Vater gibt die Tat auch unumwunden schriftlich zu. Aufgrund eines ominösen Anrufs eines Sohnes glaubt die Polizei dem Vater indes nicht und konzentriert sich statt dessen auf Fritz. Ohne jegliche Einvernahme und weitere Abklärungen  (vgl. Art. 352 Abs. 1 StPO) erlässt der Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl gegen Fritz.

Nach unserer Einsprache gelangt der Fall ans Strafgericht. Der Vorsitzende führt die Hauptverhandlung fast so zackig wie Fritz sein Motorrad gelenkt haben soll, ohne Vorstellung, Behandlung von Vorfragen etc. (vgl. Art. 339 StPO). Er verurteilt Fritz im Sinne der Anklage. Unsere Einwände, der Vater habe die Tat zugegeben, das Motorrad könne von mehreren Personen benutzt werden, das Foto der Überwachungskamera mit dem knappen Ausschnitt des Gesichts des Fahrers unter dem Helm sei kaum aussagekräftig und Fritz habe übrigens einen Vater und zwei Brüder, die ihm nicht unähnlich seien, wischt das Gericht vom Tisch.

Das Appellationsgericht als Berufungsinstanz spricht unseren Mandanten Fritz mit Urteil vom 08. März 2018 frei. Zwar lägen durchaus Indizien gegen Fritz vor, doch die Tat könnte etwa auch vom jüngeren Bruder Toni begangen worden sein. Die Aussage des Polizisten, der den ominösen Anruf von Fritz entgegengenommen haben will, vermöge dessen Täterschaft nicht zu beweisen. Es lägen Zweifel vor, die in dubio pro reo zum Freispruch führen müssten (vgl. Art. 10 Abs. 3 StPO).

(Foto: Stefan Meichssner, Jasper National Park, Alberta/Canada, Oct. 2003)