Wenn die Justiz vor die Hunde geht – oder umgekehrt

Frau Streit ist im Quartier bekannt. Allzu gerne provoziert sie mit ihrem Hund Wauwau ihre Nachbarn. Besonders auf dem Kieker hat sie aus unerfindlichen Gründen Frau Frieden. Eines schönen Tages kommt es zu einer folgenschweren Begegnung der beiden Damen und ihrer Vierbeiner. Mops Wauwau stürzt sich auf den Cairn Terrier von Frau Frieden. Frau Streit denkt nicht daran, Wauwau abzurufen, weil dieser nur spielen möchte. Und sowieso wolle sie hier und jetzt auf diesem öffentlichen Weg verharren und zuschauen. Frau Frieden muss ihren verängstigten Cairn Terrier schützen und fordert das Duo Streit-Wauwau mehrmals auf, den Ort zu verlassen. Als dies nichts nützt, bespritzt sie zwecks Abwehr Wauwau mit ein paar Tropfen Wasser. Möglicherweise kriegt Frau Streit dabei aus Unachtsamkeit auch ein paar Tropfen ab. Dies löst bei Frau Streit offenbar einen Schockzustand aus. Als später Anwohnerin Frau Tauber hinzukommt, äußert Frau Frieden angeblich, Frau Streit habe ihren Hund getreten und sei deshalb eine Tierquälerin. Frau Streit behauptet außerdem, Frau Frieden hätte ihr Kratzer am Hals zugefügt.

Drei Tage später erstattet Frau Streit Anzeige gegen Frau Frieden wegen Tätlichkeiten (Art. 126 StGB) und Verleumdung (Art. 174 StGB). Als die Staatsanwaltschaft mehr als ein Jahr später einen Strafbefehl erlässt, begreift Frau Frieden, welche den Vorfall längst vergessen hat,  die Welt nicht mehr. Sie müsste eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen auf Bewährung und eine Buße von 500 Franken bezahlen. Mit dem Strafbefehl kommt Frau Frieden zu uns. Wir erheben Einsprache gegen den Strafbefehl, worauf die Staatsanwaltschaft den Fall mittels Überweisung beim Gericht anklagt (Art. 356 StPO).

Es findet eine denkwürdige Hauptverhandlung vor erster Instanz statt, die das halbe Quartier auf den Zuschauerrängen mitverfolgt. Frau Streit vertritt ihre Strafklage selbst und verzichtet sinngemäß auf eine Zivilklage (Schadensersatz). Eine anschließende, mündliche Urteilsverkündung ist nicht möglich, weil das Gericht noch weitere Beweise erheben will.

Drei Monate später stellt das Gericht das Verfahren betreffend Tätlichkeiten ein und spricht Frau Frieden vom Vorwurf der Verleumdung frei. Weil das Urteil nicht mündlich eröffnet wird, ist die Begründung nicht in allen Teilen klar. Klar und denn auch ausdrücklich im Urteil festgehalten ist, dass die Einstellung betreffend Tätlichkeiten wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung erfolgt. Tätlichkeiten sind bloß Übertretungen, deren strafrechtliche Verfolgbarkeit nach drei Jahren aufhört (Art. 109 StGB). Die Justiz schafft es vorliegend also nicht oder will es nicht, einen banalen Vorfall innerhalb angemessener Zeit abzuhandeln.

Was die Verleumdung angeht, sieht das Gericht wahrscheinlich wie die Verteidigung keine Beweise. Frau Tauber als einzige Drittperson, die unmittelbar nach dem angeblichen Vorfall am Tatort erscheint, hat gemäß Vernehmungsprotokoll nichts gesehen und gehört. Die Kratzer an Frau Streits Hals, über die zwar eine Bestätigung des Hausarztes, aber keine Fotos, vorliegen, könnten auch von der Gartenarbeit stammen. Vor allem aber kann Frau Frieden mit Dokumenten und anlässlich der Hauptverhandlung beweisen, dass sie über pathologisch kurze Fingernägel verfügt und folglich kaum in der Lage ist, sich wehrenden Drittpersonen deutlich sichtbare Kratzer zuzufügen.

Die Verfahrenskosten für dieses Verfahren trägt der Staat. Auch die Kosten für die Verteidigung von Frau Frieden gemäß staatlichem Anwaltstarif gehen übrigens zu Lasten der Staatskasse und nicht der Strafklägerin Frau Streit (Art. 416 ff. StPO).

(Bild: Stefan Meichssner, Seebad Bansin, Usedom)

Scheidung zwingt zu Mehrarbeit

Hartnäckig hält sich das Gerücht, eine geschiedene Frau müsse nach 45 nicht mehr arbeiten gehen. Bei der Scheidung müsse daher der Mann für ihren Unterhalt weiterhin aufkommen. Abgesehen davon, dass für geschlechtsspezifische Differenzierungen von vornherein kein Raum besteht, muss nach der Scheidung nach dem Grundsatz der Eigenversorgung ein jeder Ehegatte für seinen gebührenden Unterhalt selbst aufkommen, soweit dies möglich und zumutbar ist (Art. 125 ZGB). Nachehelicher Unterhalt stellt somit nach der Intention des Gesetzgebers die Ausnahme dar.

In unserem Fall findet die Scheidung erst im fortgeschrittenen Alter der Ehegatten statt, nachdem die Kinder ausgeflogen sind und sich beim Ehemann bereits die frühzeitige Pensionierung abzeichnet. Die erste Instanz holt zur Arbeitsfähigkeit der Ehefrau, welche beträchtlichen Unterhalt für sich verlangt, beim Amtsarzt einen Kurzbericht ein. Dieser attestiert der Ehefrau, dass sie ihren gelernten Beruf als Coiffeuse wegen Gelenkschmerzen und fehlender adäquater Behandlung nur noch zu 50% ausüben könne; doch in einer angepassten Tätigkeit sei die Ehefrau zu 100% arbeitsfähig. Sie habe sich auch nie bei der Invalidenversicherung angemeldet, ja nicht einmal Gedanken über diese Option gemacht. Dennoch rechnet die erste Instanz der Ehefrau lediglich das tiefe hypothetische Einkommen basierend auf einer 50%-Arbeitsfähigkeit an, welches im früheren Eheschutzverfahren vom Obergericht als Basis genommen worden war. Dementsprechend verpflichtet die erste Instanz den Ehemann zu relativ hohen monatlichen Unterhaltsbeträgen an die Ehefrau.

Auf unsere Berufung hin (Art. 308 ff. ZPO) reduziert das Obergericht des Kantons Aargau als zweite Instanz die Unterhaltsbeiträge beträchtlich. Auch beschränkt es die Unterhaltsbeträge zeitlich bis zur Pensionierung des Ehemannes. Gegen das Obergerichtsurteil reicht nun wiederum die Ehefrau Beschwerde in Zivilsachen beim Bundesgericht ein (Art. 72 ff. BGG).

Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab und stützt mit seiner Entscheidung vom 27. Januar 2017 (5A_319/2016) das obergerichtliche Urteil. Interessant ist die Erwägung, wonach sich die erwähnte Alterslimite von 45 Jahren „seit je“ nur auf den Fall bezog, wo der andere Ehegatte während der Ehe überhaupt nicht erwerbstätig war; Teilerwerbstätigkeit hingegen sei regelmäßig nach der Scheidung auszudehnen (Erwägung 4.2). Vorliegend wird der Ehefrau u.a. zum Verhängnis, dass sie den Kurzbericht zu spät kritisiert und es versäumt hat, ein Obergutachten zu verlangen. Unter diesen Umständen gehe ihre inhaltliche Kritik an dem Arztbericht ins Leere (Erwägung 3.1). Das Bundesgericht stützt die Annahmen des Obergerichts, welches das hypothetische Einkommen für die in Frage kommenden Tätigkeiten der Ehefrau konkret auf CHF 3.500,– festsetzt (Erwägung 3.4).  Schließlich verweist das Bundesgericht auf seine konstante Praxis, nach der die Unterhaltspflicht grundsätzlich mit Erreichen des AHV-Alters des Unterhaltsschuldners erlösche, weil sich die finanziellen Mittel mit der Pensionierung reduzieren und der Lebensstandard nicht gehalten werden könne (Erwägung 5).

(Bild: Stefan Meichssner, Seebrücke von Ahlbeck, Usedom)

 

Tötungsversuch mit Handgranate – Mord?

Der Knall ist weitherum zu hören. Morgens in der Früh explodiert neben einer Frau auf einer Straße eine Handgranate, wie sich später herausstellt. Die Frau nimmt zunächst nur einen Blitz und einen Knall wahr. Erst am Abend bemerkt sie eine Verletzung am Finger und einen Splitter im Unterleib. Ebenfalls erst am Abend stellen Anwohner in ihren Wohnungen in mehreren Fenstern kleine Löcher fest. Dringend tatverdächtig ist der Ehemann der Frau, der von ihr getrennt lebt und drei Tage später bei der Einreise in die Schweiz festgenommen wird. Der Ehemann bestreitet eine Beteiligung. Die Oberstaatsanwaltschaft beruft uns zur amtlichen notwendigen Verteidigung.

Weil das Sprengstoffdelikt nach Art. 23 Abs. 1 Bst. d StPO der Bundesgerichtsbarkeit untersteht, zieht die Bundesanwaltschaft den ganzen Fall an sich (Art. 26 Abs. 2 StPO) und übernimmt uns als Pflichtverteidigung. Die Bundesanwaltschaft lässt die Tat rekonstruieren und ein pyrotechnisches Gutachten erstellen. Alsdann erhebt sie Anklage beim Bundesstrafgericht in Bellinzona. Sie verlangt die Verurteilung des Ehemannes wegen Mordversuchs, Gefährdung durch Sprengstoffe und giftige Gase in verbrecherischer Absicht sowie Sachbeschädigung und beantragt eine Freiheitsstrafe von elf Jahren. Der Ehemann verneint eine Beteiligung bis zuletzt und verlangt einen Freispruch. Er sei zur Tatzeit nicht am Tatort gewesen, es gebe keine Daten des Mobiltelefons, der Sicherungsbügel der Handgranate M75 sei erst mehr als 24 Stunden nach der Tat an einer viel befahrenen Straße gefunden worden und die daran festgestellte DNA von ihm beweise die Tat nicht.

Das Bundesstrafgericht verurteilt mit Urteil vom 18. März 2015 den Ehemann „nur“ wegen des Versuchs der vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB) und der Sachbeschädigung (Art. 144 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Es hält fest, dass allein der Umstand, dass der Tötungsversuch mit einer Handgranate begangen worden sei, nicht auf die für Mord (Art. 112 StGB) verlangte besondere Skrupellosigkeit schließen lasse. Für den Ehemann sei es schlicht praktischer gewesen, in seiner bosnischen Heimat eine Handgranate für 10 Euro zu kaufen als eine Schusswaffe. Schließlich lasse auch das mögliche Motiv, in einer zerrütteten Ehe keinen Unterhalt mehr an seine Ehefrau zu bezahlen, den Ehemann nicht als besonders gefühlskalten, primitiven Täter erscheinen.

Da die Anklage keine konkrete Gefährdung weiterer Personen durch die Explosion der Handgranate behauptet, entfalle, so die Bundesstrafrichter, eine zusätzliche Verurteilung des Ehemannes wegen des Sprengstoffdelikts (Art. 224 StGB). Das Tötungsdelikt konsumiere das Sprengstoffdelikt.

(Bild: Stefan Meichssner, Am Strand von Baabe, Rügen)

Vier-Augen-Delikt mit sieben Händen?

Vier-Augen-Delikte sind Taten, für die es neben den Aussagen der beiden Beteiligten keine weiteren Beweise gibt. Bei Sexualdelikten sind regelmäßig nur Täter und Opfer vorhanden, welche das Vorgefallene naturgemäß völlig unterschiedlich sehen und sich widersprechende Aussagen machen („Na klar hatten wir Sex, sie wollte es ja auch!“). In solchen Konstellationen kommt der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers und der Glaubhaftigkeit seiner Aussagen hervorragende Bedeutung zu. Häufig muss die Glaubhaftigkeit mit einem aussagepsychologischen Gutachten abgeklärt werden (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_1251/2014 vom 1. Juni 2015). In unserem Fall kann das Gericht jedoch schnell selbst erkennen, dass die Story des „Opfers“ erstunken und erlogen ist.

Die 16-jährige Tochter wirft dem Vater vor, er hätte sie vor zwei Jahren sexuell missbraucht und mehrfach vergewaltigt. Schon der Zeitpunkt, in dem die „Story“ auftaucht, macht stutzig: auf dem Höhepunkt eines wüsten Eheschutzverfahrens der Eltern, die sich getrennt haben. Die Tochter hat massive psychische und schulische Probleme und ist unterdurchschnittlich intelligent. Sie ist auf Rache aus, nachdem der Vater angeblich eine Beziehung von ihr zu einem Jungen beendet hat. Dieser bestätigt später, dass die Tochter und deren Mutter angekündigt haben, den Vater fertigzumachen, damit er „in den Knast wandert“.

Bereits in den polizeilichen Befragungen verstrickt sich die Tochter in unauflösbare Widersprüche. Die angeblichen Übergriffe sollen frühmorgens in ihrem Zimmer stattgefunden haben. Sie will zunächst gehört haben, wie sich ihr Vater in ihr Zimmer schleicht, dann aber erst aufgewacht sein, nachdem er sich auf sie gesetzt hatte. Sie will zunächst nicht geschrien haben, um die anderen Familienmitglieder nicht zu wecken, dann will sie geschrien haben, worauf der Vater ihr den Mund zugehalten haben soll. Dieser soll ihr also mit einer Hand den Mund zugehalten, sie mit einer Hand gewürgt und mit zwei Händen an den Handgelenken festgehalten, dann mit einer weiteren Hand ein Kondom übergestülpt und schließlich in den Mund zu penetrieren versucht haben.

Dass da etwas nicht stimmt, wird schnell klar. Auch das Gericht merkt an, dass die Schilderungen so flach sind, dass das Tatgeschehen nicht rekonstruiert werden könne. In der Hauptverhandlung verweigert die Tochter die Aussage. Und just am Vortag sendet die Tochter dem Vater eine Freundschaftsanfrage über Facebook („Ich wollte mal schauen, wie er reagiert“). Im Zweifel wird deshalb der Vater freigesprochen.

Weshalb die Staatsanwaltschaft das erstinstanzliche Urteil noch mit Berufung ans Obergericht weiterzieht, das den Freispruch prompt bestätigt (vgl. SST.2016.223), bleibt freilich auch unklar.

(Bild: Stefan Meichssner, Seebad Kühlungsborn)

 

Einstellungsverfügungen gegen Polizisten

Drei SEK-Polizisten werden gerufen, als ein Mann in einem psychotischen Ausnahmezustand in seiner Wohnung randaliert und seinen Betreuer angreift. Die Polizisten müssen davon ausgehen, dass der Mann mit einer Metallstange bewaffnet ist. Der Mann rastet beim Eintreffen der Polizisten völlig aus. Den Polizisten gelingt es nur mit Mühe, den Mann festzunehmen. Nach der polizeilichen Intervention weist der Mann u.a. einen gebrochenen Kiefer auf. Die Staatsanwaltschaft eröffnet ein Verfahren gegen die drei Polizisten, von denen wir einen verteidigen können. Die Staatsanwaltschaft stellt das Verfahren indes nach mehreren Einvernahmen und Vorliegen eines forensischen Gutachtens gemäß Art. 319 Abs. 1 StPO ein; sie ist der Auffassung, die Polizisten hätten in Übereinstimmung mit dem Polizeigesetz, verhältnismäßig und in Notwehr gehandelt.

Dieser Entscheid wird vom Obergericht und schließlich auch vom Bundesgericht geschützt. Das Bundesgericht äußert sich in seinem Urteil vom 20. Februar 2017 (6B_816/2016) zum Grundsatz „in dubio pro duriore“, wonach im Zweifelsfall Anklage erhoben werden muss. Ist eine Verurteilung wahrscheinlicher als ein Freispruch, muss die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Vorliegend sei die Einstellung des Strafverfahrens allerdings zu recht erfolgt.

Grundsätzlich wäre der Beschwerdeführer gar nicht zu Rechtsmitteln legitimiert gewesen, weil bei potentieller Staatshaftung keine Zivilansprüche streitig sind, auf die sich der Ausgang des Strafverfahrens auswirken könnte. Weil der Beschwerdeführer aber eine unmenschliche Behandlung durch den Staat geltend machte, hatte er einen Anspruch auf wirksamen Rechtsschutz nach Art. 10 Abs. 3 BV und Art 13 EMRK (sowie weiterer völkerrechtlicher Vereinbarungen).

(Bild: Stefan Meichssner, Seebad Kühlungsborn)

 

Wenn die Behörde nichts tut, verweigert sie das Recht

Das Pflegeheim X. versichert seine Arbeitnehmer bei der Versicherung Y. gegen das Unfallrisiko.  Nachdem der Rahmenvertrag mit dem Broker weggefallen ist, unterbreitet Y. dem Pflegeheim X. einen neuen Vertrag mit schlechteren Konditionen. Eine Kündigung von X. akzeptiert Y. mit dem Hinweis nicht, bei Wegfall des Rahmenvertrages gebe es kein Kündigungsrecht. Von X. mandatiert, fordern wir Y. auf, die neuen Konditionen zu verfügen, soweit sie den obligatorischen Teil der Unfallversicherung betreffen. Wir verweisen auf Art. 124 Bst. d der Unfallversicherungsverordnung (UVV), der als lex specialis zu Art. 49 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) eine Verfügungspflicht für die Änderung in der Einreihung eines Betriebes in die Prämientarife vorsieht.

Y. verweigert aber ausdrücklich eine Verfügung. Deshalb erheben wir so genannte Rechtsverweigerungsbeschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Das Recht verweigert eine Behörde, die es ausdrücklich oder stillschweigend unterlässt, eine Verfügung zu erlassen, obwohl sie dazu verpflichtet wäre. In diesem Fall begeht sie eine formelle Rechtsverweigerung, gegen die sich der Betroffene wehren kann (Art. 29 Abs. 1 BV; Art. 56 Abs. 2 ATSG).

Das Gericht heißt die Beschwerde mit Urteil vom 13. Februar 2017 gut (C-5148_2016). Es verwirft die Einwände von Y., welche die Modalitäten dem Privatrecht unterstellen will. Das Gesetz sehe für vorliegenden Sachverhalt eine Pflicht zur Verfügung vor. Speziell zu erwähnen ist, dass Y., immerhin eine große Schweizer Versicherungsgesellschaft, trotz Hinweis auf die Säumnisfolgen weder dem Gericht die Akten eingereicht noch sich hat vernehmen lassen.

(Bild: Stefan Meichssner, Am Strand von Ahlbeck/Swinemünde, Usedom)

 

Polizist als Anzeiger, Ermittler und Zeuge in einem

Polizist P. ist privat in seinem Personenwagen unterwegs. Auf der Autobahn A2/3 vor und im Schweizerhalle-Tunnel glaubt er, unseren Mandanten M. im Nebenfahrzeug fahrend bei ca. 100 km/h beim Blättern und Lesen einer Broschüre auf dem Lenkrad gesehen zu haben. Am folgenden Tag ermittelt P. das Geschäft von M. als Halter des betroffenen Fahrzeuges und ruft diesen an. M. gibt daraufhin zu, am Vortag zu der fraglichen Zeit mit dem Fahrzeug gefahren zu sein. Als M. anschließend eine E-Mail von P. mit einer zu unterschreibenden  „Sachverhaltsanerkennung“ erhält, kontaktiert er uns. Wir raten, den Sachverhalt zu bestreiten und die Unterschrift zu verweigern.

Es beginnt ein Strafverfahren, dass erst mit einem Freispruch durch das Kantonsgericht Basel-Landschaft als zweiter Instanz endet, nachdem das Strafgericht als erste Instanz die Buße der Staatsanwaltschaft wegen einfacher Verkehrsregelverletzung noch bestätigt hatte. Das Kantonsgericht erachtet in seinem Urteil vom 1. November 2016 die Glaubwürdigkeit von P. als „angekratzt“. Dieser hatte nämlich im Vorverfahren von einer Kontrollfahrt gesprochen und dadurch den Anschein erweckt, in polizeilicher Mission unterwegs gewesen zu sein. Erst auf Nachfrage der Verteidigung gab er zu, an jenem Tag privat und alleine gefahren zu sein. Im Gegensatz dazu ist M. nach Ansicht der Kantonsrichter glaubwürdig, da er von Anfang an die Fahrt an sich zugegeben, jedoch das Lesen von Dokumenten bestritten habe.

Das Kantonsgericht hält schließlich fest, dass das Verhalten von P. mit seinen mehreren Funktionen im Hinblick auf die Ausstandsregeln von Art. 56 StPO heikel sei. Er sei als Anzeigeerstatter, Ermittler und Zeuge aufgetreten.

(Bild: Stefan Meichssner, Seebrücke von Sellin, Rügen)