Hundebiss als Tätlichkeit – ohne Vorsatz nicht strafbar

Angeklagt war unser Mandant wegen fahrlässiger Körperverletzung (vgl. Art. 125 Abs. 1 StGB) und Widerhandlungen gegen das kantonale Hundegesetz (vgl. § 5 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 HuG/AG), verurteilt wurde er schließlich nur wegen Widerhandlungen gegen das Hundegesetz. Einer seiner Hunde hatte eine spazierende Frau gebissen, die dadurch angeblich gestürzt sein soll und sich daraufhin in ärztliche Behandlung begeben musste.

Obwohl der Mandant bestritt, an jenem Tag am Tatort gewesen zu sein, sah das Gericht seine Täterschaft als erwiesen. Die Hauptverhandlung fand draußen am Tatort statt. Indessen verneinte es entgegen der Anklage eine einfache Körperverletzung, weil die Verletzungen am Fuß durch den Biss sehr oberflächlich waren,  keine Schürfungen dokumentiert wurden und die Arbeitsunfähigkeit von einem Tag zu kurz war. Damit sei die Schwelle von Art. 125 Abs. 1 StGB objektiv nicht überschritten.

Weil dem Mandanten in der Anklage nur Fahrlässigkeit vorgeworfen wurde, war ein Schuldspruch wegen Tätlichkeit von vornherein nicht möglich (vgl. Art. 126 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 StGB). Anstelle der im angefochtenen Strafbefehl vorgesehenen Geldstrafe von 25 Tagessätzen (für die Körperverletzung) und der Buße von 800 Franken (für das Hundegesetz), muss unser Mandant neu nur noch eine Buße von 600 Franken bezahlen. Das Verfahren hat sich für ihn insofern gelohnt, als für den kleinen Schadenersatz, die Genugtuung, die Parteientschädigung an das Opfer sowie die Gerichtsgühren Versicherungsdeckung besteht.

Muss ich des Nachbarn Abwasserleitung instand halten?

Nach den gewässerschutzrechtlichen Bestimmungen ist der „Inhaber“ einer Leitung zu deren sachgerechter Erstellung und Unterhalt verpflichtet, damit die Leitung keine Gefahr für das Grundwasser und die Umwelt darstellt (vgl. Art. 15 GschG). Vernachlässigt er diese Pflicht, kann an seiner Stelle das Gemeinwesen Zwangsmaßnahmen anordnen oder bei unmittelbarer Gefahr auch Ersatzmaßnahmen vornehmen und anschließend die Kosten auf den Inhaber überwälzen (vgl. Art. 53 f. GschG).

Ein Hauseigentümer gelangt an uns, weil er befürchtet, dass er die Reparatur der lecken Abwasserleitung berappen muss, die vom Nachbargrundstück über sein Grundstück in die Sammelabwasserleitung auf der Straße gelegt ist. Wir klären ab und gehen davon aus, dass Leitung zivilrechtlich dem Nachbarn gehört, weil sie von seinem Grundstück ausgeht und ihm dient (vgl. Art. 676 ZGB). Außerdem besteht ein Notleitungsrecht (vgl. Art. 691 ZGB) und dementsprechend ein Anspruch des Nachbarn, die Leitung im Grundbuch als Dienstbarkeit einzutragen. Damit ist der Nachbar grundsätzlich selbst für seine Leitung verantwortlich.

Allerdings besteht das Risiko, dass bei Passivität des Nachbarn unser Hauseigentümer von der Gemeinde als „Inhaber“ im gewässerschutzrechtlichen Sinne aufgefasst bzw. als Störer betrachtet wird. Selbst wenn er völlig schuldlos ist, kann er als Zustandsstörer mit tatsächlicher Herrschaft über die Leitung auf seinem Grundstück aufgefasst werden; dadurch riskiert er, am Schluss einen Teil der Kosten für die Ersatzvornahme betreffend die fremde Leitung übernehmen zu müssen. Nach aargauischer Praxis können 20 Prozent der Kosten auf ihn überwälzt werden (vgl. AGVE 2006 Nr. 98).

Wenn Klienten „gestohlen“ werden

Für die Aufklärung und Ahndung von Straftaten sind grundsätzlich die Strafbehörden am Ort zuständig, an dem die mutmaßliche Tat verübt wurde oder an dem der Erfolg eingetreten ist. So sind also schweizerische Behörden sowohl zuständig, wenn jemand in der Schweiz erschossen wird, als auch dann, wenn jemand in der Schweiz aufgrund eines jenseits der Grenze abgefeuerten Schusses angeschossen wird. Hat jemand eine Straftat an mehreren Orten verübt oder gibt es mehrere Erfolgsorte, sind im Binnenverhältnis die Strafbehörden „des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind“ (vgl. Art. 31 StPO).

Hat jemand mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, liegt die Zuständigkeit bei den Strafbehörden am Ort der schwersten Tat. Bei gleicher Strafdrohung, also für ungefähr „gleiche“ Delikte, sind die Strafbehörden des Ortes zuständig, „an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind“. Dazu genügt es praxisgemäß, dass die Polizei eine Anzeige entgegengenommen oder am Tatort einen Rapport erstellt hat (sog. forum praeventionis; vgl. Art. 34 StPO).

In unserem Fall stellt sich nach Eröffnung der Untersuchung für einen Einbruchdiebstahl heraus, dass der Beschuldigte in einem anderen Kanton mutmaßlich gleichgelagerte Delikte begangen hat und die dortigen Strafverfolgungsbehörden bereits zuvor mit den Ermittlungen begonnen hatten. So erlässt die zeitlich zuletzt involvierte Staatsanwaltschaft in Absprache mit der ersten eine Übernahmeverfügung, die bei Fehlerhaftigkeit beim Bundesstrafgericht angefochten werden könnte (vgl. Art. 40 f. StPO). Und der Beschuldigte, unser Klient, für den wir als amtliche Verteidigung eingesetzt worden sind, ist weg.

Bei einer Gerichtsstandsänderung wird das amtliche Mandat widerrufen. Eine Weiterführung in der Form einer Neueinsetzung durch den neuen Kanton ist möglich, wurde vorliegend jedoch schon wegen der Entfernung nicht in Betracht gezogen und hätte wohl auch noch nicht mit einem besonderen Vertrauensverhältnis begründet werden können (vgl. SSK, Empfehlungen zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit
[Gerichtsstandsempfehlungen], Ziff. 24).

Zivil- oder Verwaltungsgerichtsbarkeit?

In einem Streit zwischen der Swissgrid AG als Netzbetreiberin und zwei Stromerzeuger hatte das Handelsgericht als Vorinstanz gestützt auf Art. 5 Abs. 5 StromVV seine Zuständigkeit in einem Zwischenentscheid teilweise bejaht. Streitigkeiten der Netzbetreiberin Swissgrid AG mit Energieerzeugern betreffend Vereinbarungen im Zusammenhang mit Maßnahmen zur Gewährleistung der Netzstabilität würden gemäß dieser speziellen Norm der Zivilgerichtsbarkeit unterliegen.

Auf Beschwerde der Swissgrid AG hin hebt das Bundesgericht diesen Zwischenentscheid mit Urteilen vom 11. Januar 2022 auf (4A_275/2021 bzw. 4A_283/2021, zur Publikation vorgesehen). Auf das Rechtsbegehren sei nicht einzutreten, weil es auf dem Verwaltungsweg zu beurteilen sei.

Das Bundesgericht kommt in einem ersten Schritt in Erwägung 3 zum Ergebnis, die Änderung der verfassungs- und gesetzesrechtlich geregelten Zuständigkeiten (vgl. Art. 164 BV, Art. 182 BV, Art. 30 StromVG), insbesondere die ausnahmsweise Unterstellung von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten unter die Zivilgerichtsbarkeit, bedürfe einer Grundlage im formellen Gesetz; Art. 5 Abs. 5 StromVV als Verordnungsbestimme genüge nicht.

In einem zweiten Schritt kommt das Bundesgericht in Erwägung 4 mittels Auslegung zum Schluss, die Vereinbarung sei öffentlich-rechtlicher Natur. Namentlich nach der Interessentheorie, wonach das öffentliche Recht die Wahrung öffentlicher Interessen bezweckt, und nach der Funktionstheorie, wonach bei der Besorgung von Verwaltungsaufgaben das öffentliche Recht gilt, diene die Vereinbarung der Gewährleistung des schweizerischen Übertragungsnetzes und sei daher dem öffentlichen Recht zuzuordnen.

Arbeitslosen- oder Invalidenversicherung?

Die Abgrenzung zwischen den Ansprüchen verschiedener Sozialversicherungen ist komplex und für die Betroffenen oft schwer zu durchschauen. Dafür sind wir da. Wir regeln das für Sie.

Meldet sich jemand wegen eines Gesundheitsschadens bei der Invalidenversicherung (IV), steht ihm bzw. ihr ein langes Abklärungsverfahren bevor. Die IV prüft, ob und wie sich die gesundheitliche Beeinträchtigung auf die funktionelle Leistungsfähigkeit und letztlich auf die Erwerbsfähigkeit auswirkt. Das Abklärungsverfahren kann mehrere Monate bis Jahre dauern.

Verliert die bei der IV angemeldete Person (z.B. nach Ablauf der Sperrfrist, vgl. Art. 336c OR) ihre Arbeitsstelle, kann sie sich bei der Arbeitslosenversicherung (ALV) anmelden. Die ALV prüft dann, ob die Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind, namentlich ob die Rahmenfristen eingehalten sind (vgl. Art. 8 f. AVIG) und ob die Person vermittlungsfähig ist. Vermittlungsfähig ist, wer bereit, in der Lage und berechtigt ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen (vgl. Art. 8 bzw. 15 AVIG). Teilt die Person der ALV mit, im Rahmen des medizinisch Zumutbaren Arbeit suchen zu wollen, schliesst die Arbeitslosenversicherung nicht selten auf eine reduzierte Vermittlungsfähigkeit. Setzt man sich dagegen nicht zur Wehr, zahlt die ALV nur reduzierte, der ärztlichen Arbeitsfähigkeitsbeurteilung entsprechende Taggelder aus oder verweigert sie ganz.

Damit missachtet die ALV jedoch die Koordinationsregeln zwischen der IV und der ALV. Denn ist ein Behinderter, unter der Annahme einer ausgeglichenen Arbeitsmarktlage, nicht offensichtlich vermittlungsunfähig und hat er sich bei der IV angemeldet, so gilt er bis zum Entscheid der IV als vermittlungsfähig. Die Beurteilung seiner Arbeits- oder Erwerbsfähigkeit durch die Invalidenversicherung wird dadurch nicht berührt (vgl. Art. 15 Abs. 3 AVIV).

Ganz generell gilt: Ist unklar, welche Versicherung für einen Versicherungsfall Leistungen zu erbringen hat, ist die Arbeitslosenversicherung gegenüber der Invalidenversicherung (und auch gegenüber der Krankenversicherung, der Militärversicherung und der Unfallversicherung) vorleistungspflichtig (vgl. Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG).

Befangener Gutachter einer hörbehinderten Versicherten

Nach Abschluss der Eingliederungsmaßnahmen liess die IV-Stelle unsere Mandantin psychiatrisch gutachterlich abklären. Nach Vorliegen des Gutachtens übten wir daran Kritik, weil der Gutachter unsere Mandantin gar nicht richtig verstanden hatte und mit ihrer schweren Hörbehinderung nicht adäquat umzugehen wusste. Eine korrekte und auf Vertrauen basierende Begutachtung lege artis sei nicht möglich gewesen, weshalb das Gutachten unbrauchbar sei.

Auf unsere Beschwerde gegen die Verfügung, welche die Rentenberechtigung verneint, kommt das Versicherungsgericht mit Urteil vom 4. Mai 2021 (VBE.2020.453 in den AGVE) zum Schluss, dass der Gutachter befangen gewesen sei. Es habe keine entspannte Atmosphäre geherrscht und auf die Schallempfindlichkeit der Versicherten sei nicht Rücksicht genommen worden. Das Gutachten erfülle damit die gesetzlichen Anforderungen nicht. Der Gutachter erwecke den Anschein der Befangenheit. Das Gutachten taugt somit nicht als Grundlage für die Renteneinstellung und die IV-Stelle muss die Angelegenheit erneut prüfen.

Inzwischen erhält unsere Mandantin die Rente.

 

Veruntreuung oder unrechtmäßige Aneignung?

In unserem aktuellen Fall konnten wir einen Beschuldigten verteidigen, welcher der Veruntreuung im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 StGB in Mittäterschaft mit seiner Partnerin angeklagt war. Die beiden sollen Gold und Geld, das die Frau von ihrem Stiefvater zur Aufbewahrung anvertraut erhalten hatten, entgegen dessen Aufforderung nicht zurückgegeben haben. Vielmehr sollen sie dem Stiefvater ein Paket mit Steinen ins Tessin geschickt haben.

Über die erstinstanzliche Hauptverhandlung berichtete auch die Zeitung (vgl. Beitrag in der Aargauer Zeitung vom 18. September 2020). Die Mitbeschuldigten argumentierten, die Stieftochter hätte die Vermögenswerte im Kontext mit familiären Problemen geschenkt erhalten, so dass gar keine Pflicht zur Rückgabe bestanden habe. Dies glaubte ihnen das Gericht jedoch nicht. Weil aber die Frau gleichzeitig aussagte, irgendwann habe sie klein beigegeben und den Mann mit der Rücksendung beauftragt, wurde sie freigesprochen. Der Mann hingegen wurde wegen unrechtmäßiger Aneignung gemäß Art. 137 Ziff. 1 StGB schuldig gesprochen. Das Gericht sah bei ihm zwar entgegen der Staatsanwaltschaft keine Treuepflicht gegenüber dem Stiefvater der Frau und verurteilte ihn deshalb aufgrund des Auffangtatbestandes von Art. 137 Ziff. 1 StGB wegen unrechtmäßiger Aneignung.

Auf Berufung hin bestätigte das Obergericht diesen Schuldspruch. Weil die Staatsanwaltschaft selbst keine Berufung eingelegt hatte, konnte das Obergericht immerhin entgegen seinem erklärten Wille keine höhere Strafe aussprechen (sog. Verschlechterungsverbot / Verbot der reformatio in peius; Art. 391 Abs. 2 StPO). Das erstinstanzliche Gericht hatte „nur“ eine bedingte Geldstrafe ausgesprochen, während die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 11 Monaten gefordert hatte.

Sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen der unrechtmäßigen Aneignung seien, so das Berufungsgericht, beim Beschuldigten erfüllt. So habe er seinen Aneignungswillen klar kundgetan, indem er das Gold und Geld entgegen der Aufforderung seiner Frau nicht zurückgeschickte, sondern im Gegenteil weiter versteckte und die Frau im Ungewissen ließ. Der Beschuldigte habe den Geschädigten dauerhaft enteignen und sich mindestens vorübergehend bereichern wollen. Trotz des auffallend langen Zuwartens des Stiefvaters mit seiner Anzeige, des offensichtlichen Streits zwischen den Stieftöchtern, der fehlenden Belege und weiterer Widersprüche in den Aussagen des Stiefvaters gehen beide Instanzen davon aus, dass er die Vermögenswerte nicht geschenkt hatte.

Dass letztlich der Beschuldigte als Alleintäter wegen einer anderen Tat als der angeklagten zu Lasten seiner Frau verurteilt worden ist, wie wir vorbringen, verwarf das Obergericht (vgl. Anklagegrundsatz; Art. 9 StPO).

 

Corona: Ohne gesetzliche Grundlage keine Skype-Gerichtsverhandlung

Die Administrativhaft im Ausländerrecht muss zu Beginn und später bei der Verlängerung auf Antrag des Betroffenen durch das Gericht im Rahmen einer „mündlichen Verhandlung“ geprüft werden (vgl. Art. 80 Abs. 2 AIG; Art. 78 Abs. 4 AIG). In unserem Fall befindet sich der Häftling schon ein halbes Jahr in sog. Durchsetzungshaft, mit der seine angeblich unzureichende Mitwirkung bei der Papierbeschaffung erzwungen werden soll.

Nachdem das zuständige Amt für Migration und Integration eine weitere Verlängerung der Durchsetzungshaft verfügt hat, ordnet das Gericht ohne Begründung und ohne Antrag einer Verfahrenspartei die Überprüfung via Videokonferenz an. Der Betroffene ist damit nicht einverstanden. Wir sehen für diese Vorgehensweise keine gesetzliche Grundlage und mehrere verfassungsmäßige Rechte und Prinzipien verletzt. Daher beantragen wir zu Beginn der Skype-Schalte die Absetzung und die Durchführung einer Präsenzverhandlung gemäß den gesetzlichen Vorgaben innerhalb der vorgegebenen Frist, was das Verwaltungsgericht ablehnt.

In der Folge müssen wir die Rüge in einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht gegen den Endentscheid vorbringen, der die Verlängerung der ausländerrechtlichen Durchsetzungshaft bestätigt.

Das Bundesgericht heißt mit Urteil vom 19. November 2021 (2C_846/2021) die Beschwerde gut und ordnet die Durchführung einer Präsenzverhandlung innerhalb von 96 Stunden an. Beim AIG sei gestützt auf die historische und teleologische Auslegung davon auszugehen, dass es sich bei der mündlichen Verhandlung um eine Präsenzverhandlung handle. Verzichte der Betroffene nicht auf diese vom Gesetz vorgesehene Verhandlung, dürfe nicht einfach auf Skype ausgewichen werden. Auch wenn das Bundesgericht nicht unmittelbar Stellung zur Frage bezieht, ob die Covid-19-Verordnung Justiz und Verfahrensrecht auf das Verwaltungsverfahren anwendbar ist, kann aus den Erwägungen geschlossen werden, dass es Aufgabe des (kantonalen) Gesetzgebers wäre, die Verfahrensordnung entsprechend anzupassen. Das Verwaltungsgericht hielt über die Verweisnorm in § 24 Abs. 4 VRPG/AG betreffend subsidiäre Anwendbarkeit der zivilprozessualen Beweisbestimmungen die bundesrätliche Notverordnung für anwendbar, obwohl aus unserer Sicht die Frage nach einer Präsenzverhandlung nichts mit Beweismitteln zu tun hat (vgl. dazu Art. 54 ZPO, auf den die Covid-19-Verordnung Bezug nimmt, der sich jedoch nicht im 10. Titel der ZPO zu „Beweis“ befindet; vgl. auch BGE 146 III 194 ff. [Handelsgericht ZH]).

Keine automatische Beschlagnahme von Handys

Die Strafverfolgungsbehörden versuchen heutzutage standardmäßig, im Rahmen von Strafuntersuchungen die Mobiltelefone von Beschuldigten auszuwerten. Dies geschieht mit dem Hintergedanken, zusätzliche relevante Informationen oder gar Beweise für die Vorwürfe zu finden. Häufig kommen dabei aber sog. Zufallsfunde ans Licht, was zu ungeahnten Weiterungen des Strafverfahrens führen kann (z.B. Pornographie, Betäubungsmittel).

So wird in unserem Fall eines mutmaßlichen Rasers dessen Mobiltelefon beschlagnahmt, um offiziell die Straftat aufzuklären (vgl. Art. 263 Abs. 1 Bst. a StPO). Da aber die mutmaßliche Straftat durch eine Radarmessung praktisch aufgeklärt ist und gemäß Polizeirapport keine Anhaltspunkte auf einen Einsatz des Handys während der Tat vorhanden sind, sehen wir keine Beweistauglichkeit der auf dem Handy vorhandenen Daten. Wir raten folglich dem Beschuldigten, die Siegelung zu verlangen, auch wenn prima vista kein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich der Daten auf dem Handy auszumachen ist. Dadurch wird die Staatsanwaltschaft gezwungen, die Entsiegelung zu verlangen, wenn sie an der Auswertung des Mobiltelefons festhalten will. Und im Entsiegelungsverfahren ist auch zu prüfen, ob die beschlagnahmten Gegenstände überhaupt im weitesten Sinne beschlagnahmefähig sind, d.h. für die Untersuchung relevant sind. Das ist der Fall, wenn objektiv Anlass zur Annahme besteht, dass die versiegelten Objekte für den Zweck des Strafverfahrens erheblich sind, mithin ein adäquater Zusammenhang zwischen den verfolgten Straftaten und den zu untersuchenden Aufzeichnungen besteht (Deliktskonnex) sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. Bundesgerichtsurteil 1B_487/2020, E. 3.1 u. E. 3.2).

Dieses Vorgehen hat den positiven Nebeneffekt, dass gegen den Beschlagnahmebefehl nicht Beschwerde geführt werden muss, sondern die Frage der Untersuchungsrelevanz vom Entsiegelungsrichter zu beurteilen ist (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_825/2019, E. 2.3.3; dogmatisch ist unklar, ob die Untersuchungsrelevanz als Teil der Verhältnismäßigkeit oder bereits bei der Frage der Beschlagnahmefähigkeit zu prüfen ist (vgl. dazu Konrad Jeker, S. 369, in: forumpoenale 5/2021, S. 366 ff., Urteilsbesprechung Nr. 33)

Im konkreten Fall bewirken unsere entsprechenden Einwände, dass die Staatsanwaltschaft von einem Entsiegelungsantrag ans Zwangsmaßnahmengericht absieht, die Beschlagnahme aufhebt und das Handy dem Beschuldigten zurückgibt.

Verwarnung nach Verkehrsunfall

Unser Klient verursacht durch eine kurze Unachtsamkeit einen kleinen Unfall. Er fährt im stockenden Kolonnenverkehr eine ältere Frau an, die mit ihrem elektrischen Rollstuhl am rechten Fahrbahnrand unterwegs ist und in der Folge stürzt.

Strafrechtlich wird er mit einem Strafbefehl wegen Nichtbeherrschens des Fahrzeuges (mangelnde Aufmerksamkeit; vgl. Art. 31 Abs. 1 und Art. 90 Abs. 1 SVG) mit einer Buße bestraft.

Seine Befürchtung, dass er zusätzlich im Rahmen einer sog. Administrativmaßnahme durch das Strassenverkehrsamt den Führerschein für eine gewisse Zeit verliert, können wir zerstreuen bzw. zerstreut das Amt durch entsprechende Mitteilung selbst.

Bei dem Unfall handelt es sich um eine leichte Widerhandlung gegen das Straßenverkehrsgesetz im Sinne von Art. 16a Abs. 1 Bst. a SVG, weil der Klient in der konkreten Situation nur eine geringe Gefahr für die Sicherheit anderer hervorgerufen hat und ihn zudem nur ein geringes Verschulden trifft. Eine kurze Unaufmerksamkeit stellt regelmäßig ein leichtes Verschulden dar. Schwieriger ist im Einzelfall die Einschätzung der geringen Gefahr, bei der es sich um eine sog. erhöhte abstrakte Gefährdung handeln muss, die sich hier aber eben in einem, wenn auch kleinen, Unfall konkret verwirklicht hat.

Für die Sanktion bei einer leichten Widerhandlung ist der automobilistische Leumund entscheidend. Weil unser Klient noch keine Administrativmaßnahme hatte, wird er lediglich verwarnt. Hätte er hingegen in den letzten zwei Jahren bereits eine Administrativmaßnahme gehabt, würde ihm der Führerschein für die Mindestdauer von einem Monat entzogen werden (Art. 16a Abs. 2 f. SVG).