Keine automatische Beschlagnahme von Handys

Die Strafverfolgungsbehörden versuchen heutzutage standardmäßig, im Rahmen von Strafuntersuchungen die Mobiltelefone von Beschuldigten auszuwerten. Dies geschieht mit dem Hintergedanken, zusätzliche relevante Informationen oder gar Beweise für die Vorwürfe zu finden. Häufig kommen dabei aber sog. Zufallsfunde ans Licht, was zu ungeahnten Weiterungen des Strafverfahrens führen kann (z.B. Pornographie, Betäubungsmittel).

So wird in unserem Fall eines mutmaßlichen Rasers dessen Mobiltelefon beschlagnahmt, um offiziell die Straftat aufzuklären (vgl. Art. 263 Abs. 1 Bst. a StPO). Da aber die mutmaßliche Straftat durch eine Radarmessung praktisch aufgeklärt ist und gemäß Polizeirapport keine Anhaltspunkte auf einen Einsatz des Handys während der Tat vorhanden sind, sehen wir keine Beweistauglichkeit der auf dem Handy vorhandenen Daten. Wir raten folglich dem Beschuldigten, die Siegelung zu verlangen, auch wenn prima vista kein Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich der Daten auf dem Handy auszumachen ist. Dadurch wird die Staatsanwaltschaft gezwungen, die Entsiegelung zu verlangen, wenn sie an der Auswertung des Mobiltelefons festhalten will. Und im Entsiegelungsverfahren ist auch zu prüfen, ob die beschlagnahmten Gegenstände überhaupt im weitesten Sinne beschlagnahmefähig sind, d.h. für die Untersuchung relevant sind. Das ist der Fall, wenn objektiv Anlass zur Annahme besteht, dass die versiegelten Objekte für den Zweck des Strafverfahrens erheblich sind, mithin ein adäquater Zusammenhang zwischen den verfolgten Straftaten und den zu untersuchenden Aufzeichnungen besteht (Deliktskonnex) sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt ist (vgl. Bundesgerichtsurteil 1B_487/2020, E. 3.1 u. E. 3.2).

Dieses Vorgehen hat den positiven Nebeneffekt, dass gegen den Beschlagnahmebefehl nicht Beschwerde geführt werden muss, sondern die Frage der Untersuchungsrelevanz vom Entsiegelungsrichter zu beurteilen ist (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_825/2019, E. 2.3.3; dogmatisch ist unklar, ob die Untersuchungsrelevanz als Teil der Verhältnismäßigkeit oder bereits bei der Frage der Beschlagnahmefähigkeit zu prüfen ist (vgl. dazu Konrad Jeker, S. 369, in: forumpoenale 5/2021, S. 366 ff., Urteilsbesprechung Nr. 33)

Im konkreten Fall bewirken unsere entsprechenden Einwände, dass die Staatsanwaltschaft von einem Entsiegelungsantrag ans Zwangsmaßnahmengericht absieht, die Beschlagnahme aufhebt und das Handy dem Beschuldigten zurückgibt.

Raser verlieren ihr Auto nicht in jedem Fall

Auf Schweizer Landstraßen gilt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Wer 60 km/h zu schnell fährt, also 140 km/h oder noch schneller unterwegs ist, gilt als „Raser“. Er begeht gemäß Gesetz „in jedem Fall“ eine „besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“ und wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis vier Jahre bestraft (Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG). Das Bundesgericht anerkennt immerhin nach anfänglichem Zögern, dass „in jedem Fall“ nicht ungeachtet eines ausnahmsweise fehlenden Vorsatzes die harte Bestrafung nach sich ziehen darf (BGE 142 IV 137 ff.).

Unser Mandant wird abzüglich der Toleranz außerorts mit genau 140 km/h geblitzt. Das Fahrzeug ist zwar auf seinen Namen zugelassen, doch es wird zur Hauptsache von der Ehefrau als Familienauto genutzt, weil der Mandant normalerweise mit seinem Geschäftsauto herumfährt. Dennoch beschlagnahmt die Staatsanwaltschaft vorliegend das Fahrzeug als Tatwerkzeug standardmäßig zur Sicherstellung seiner möglichen späteren Einziehung durch das Gericht (Art. 90a SVG; Art. 263 StPO).

Der Mandant ist geständig. Wir können durch Einwilligung ins abgekürzte Verfahren bei der Staatsanwältin erreichen, dass das Fahrzeug nach wenigen Wochen freigegeben und der Ehefrau des Mandanten ausgehändigt wird. Außerdem erhält unser Mandant die minimale Freiheitsstrafe auf Bewährung und eine happige Buße dazu (Art. 42 Abs. 4 StGB). Das Gericht akzeptiert schließlich den „Deal“ (Art. 362 StPO).

(Foto: Autos im Hochland bei Emstrur, Island, Stefan Meichssner, August 2017)