Wenn Klienten „gestohlen“ werden

Für die Aufklärung und Ahndung von Straftaten sind grundsätzlich die Strafbehörden am Ort zuständig, an dem die mutmaßliche Tat verübt wurde oder an dem der Erfolg eingetreten ist. So sind also schweizerische Behörden sowohl zuständig, wenn jemand in der Schweiz erschossen wird, als auch dann, wenn jemand in der Schweiz aufgrund eines jenseits der Grenze abgefeuerten Schusses angeschossen wird. Hat jemand eine Straftat an mehreren Orten verübt oder gibt es mehrere Erfolgsorte, sind im Binnenverhältnis die Strafbehörden „des Ortes zuständig, an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind“ (vgl. Art. 31 StPO).

Hat jemand mehrere Straftaten an verschiedenen Orten verübt, liegt die Zuständigkeit bei den Strafbehörden am Ort der schwersten Tat. Bei gleicher Strafdrohung, also für ungefähr „gleiche“ Delikte, sind die Strafbehörden des Ortes zuständig, „an dem zuerst Verfolgungshandlungen vorgenommen worden sind“. Dazu genügt es praxisgemäß, dass die Polizei eine Anzeige entgegengenommen oder am Tatort einen Rapport erstellt hat (sog. forum praeventionis; vgl. Art. 34 StPO).

In unserem Fall stellt sich nach Eröffnung der Untersuchung für einen Einbruchdiebstahl heraus, dass der Beschuldigte in einem anderen Kanton mutmaßlich gleichgelagerte Delikte begangen hat und die dortigen Strafverfolgungsbehörden bereits zuvor mit den Ermittlungen begonnen hatten. So erlässt die zeitlich zuletzt involvierte Staatsanwaltschaft in Absprache mit der ersten eine Übernahmeverfügung, die bei Fehlerhaftigkeit beim Bundesstrafgericht angefochten werden könnte (vgl. Art. 40 f. StPO). Und der Beschuldigte, unser Klient, für den wir als amtliche Verteidigung eingesetzt worden sind, ist weg.

Bei einer Gerichtsstandsänderung wird das amtliche Mandat widerrufen. Eine Weiterführung in der Form einer Neueinsetzung durch den neuen Kanton ist möglich, wurde vorliegend jedoch schon wegen der Entfernung nicht in Betracht gezogen und hätte wohl auch noch nicht mit einem besonderen Vertrauensverhältnis begründet werden können (vgl. SSK, Empfehlungen zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit
[Gerichtsstandsempfehlungen], Ziff. 24).

Vorladung im Strafverfahren zwingend an Beschuldigten

In einem Strafverfahren eröffnet uns das erstinstanzliche Gericht die Vorladung für die Hauptverhandlung. Wir erhalten aber nicht nur unsere eigene Vorladung als amtliche Verteidigung, sondern auch diejenige der beschuldigten Person, die wir gestützt auf Art. 137 ZPO (!) dieser bitte weiterleiten sollen. Verbeiständete Parteien würden keine direkten Zustellungen vom Gericht erhalten.

Die Vorgehensweise ist doppelt falsch. Zum einen stützt sie sich auf die Zivilprozessordnung, obwohl es sich um ein Strafverfahren handelt, das durch die Strafprozessordnung geregelt wird. Zum anderen müssen dort Strafbehörden Mitteilungen, die zu einer persönlichen Teilnahme verpflichten, unabhängig von einem Vertretungsverhältnis zwingend der betroffenen Person zustellen; Rechtsbeistände erhalten lediglich eine Kopie (vgl. Art. 87 Abs. 4 StPO).

Wir informieren unsere Klientschaft und schicken die Vorladung dem Gericht zwecks ordnungsgemäßer Zustellung zurück.

Obergericht systematisch zu knausrig

Schon lange sorgte die Strafkammer des Aargauer Obergerichts für Ärger bei amtlichen Verteidigern. Es kürzte die Entschädigung regelmäßig zum Teil massiv und dies erst noch ohne bzw. mit der immer gleichen, unhaltbaren Begründung. Dadurch setzte es im Ergebnis ohne gesetzliche Grundlage eine pauschale Entschädigung fest.

Am 5. Februar 2020 hieß das für Honorarbeschwerden von Verteidigern zuständige Bundesstrafgericht in Bellinzona (vgl. Art. 135 Abs. 3 Bst. b StPO) nicht weniger als 9 Beschwerden gegen Entschädigungsbeschlüsse des Aargauer Obergerichts gut (Verfügungen in den Verfahren BB.2020.5, BB.2020.1, BB.2019.280, BB.2019.269, BB.2019.256, BB.2019.209, BB.2019.203, BB.2019.118, BB.2019.77). Die Verfügung der Einzelrichterin im Verfahren BB.2020.1 betraf eine obergerichtliche Kürzung unseres Honorars um rund 40% in einem Berufungsverfahren betreffend gewerbsmäßigen Diebstahl und Landesverweisung. Das Obergericht hatte uns weder eine ausreichende Vorbereitungszeit noch eine angemessene Nachbesprechung entschädigen wollen.

Nur mit der uns zustehenden Entschädigung können wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen, bedürftige Beschuldigte effektiv zu verteidigen. Hoffen wir, dass das Obergericht seine Praxis überdenkt. Ohnehin ist es bemerkenswert, dass immer nur der Lohn eines von mehreren Akteuren, die ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren garantieren, diskutiert wird.

Auf vielseitigen Wunsch aus dem Anwaltskollegium schalten wir unsere Beschwerde hier auf.

 

Keine amtliche Verteidigung für Bagatellfälle

Unser Mandant M. hat gesundheitliche Probleme. Zu allem Übel wird er nun auch noch der Ehrverletzung beschuldigt. Die Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten gestützt auf eine Strafanzeige die liebsten beiden Dinge im Leben von M.: PC und Handy.

M. beauftragt uns, ihm im Strafverfahren beizustehen. Da er eine Rente der IV bezieht, stellen wir den Antrag auf amtliche Verteidigung. Diese sieht das Gesetz insbesondere für Fälle vor, in denen der Beschuldigte (a.) selbst nicht über die nötigen Mittel verfügt, um sich eine Verteidigung zu leisten, und sich (b.) tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten stellen, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist. Bei einem besonders schweren Eingriff in die Rechte des Beschuldigten wird der Anspruch regelmäßig bejaht bzw. werden die Schwierigkeiten angenommen. Grundsätzlich nicht gewährt wird die amtliche Verteidigung in sog. Bagatellfällen, d.h. wenn dem Beschuldigten im Falle einer Verurteilung weniger als 4 Monate Freiheitsstrafe oder 120 Tagessätze Geldstrafe drohen (vgl. Art. 132 StPO). Das Bundesgericht hält dazu aber fest, dass der Schwellenwert nicht sakrosankt ist und es mitunter auch in sog. Bagatellfällen zur Wahrung der Verteidigungsrechte nötig sein kann, eine amtliche Verteidigung zu bestellen (vgl. BGE 143 I 164 ff.; Bundesgerichtsurteil  1B_318/2018 vom 28. September 2018, E. 2.3). Diese Rechtsprechung hängt auch mit der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammen, die auch die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten hervorhebt (vgl. EGMR Quaranta gegen Schweiz vom 24. Mai 1991, 12744/87Quaranta).

Die Aargauer Staatsanwaltschaft ist regelmäßig zurückhaltend und hält nicht viel von professioneller Verteidigung. So lehnt sie auch in diesem Fall das Gesuch ab. Die potentielle Strafe bewege sich im Bagatellbereich.

Da anhand der vorliegenden Informationen eine Einstellung oder ein Freispruch wahrscheinlich ist, kann immerhin damit gerechnet werden, dass die Verteidigungskosten im Rahmen der frei gewählten Verteidigung von der Staatskasse übernommen werden. Diesbezüglich ist die Praxis des obersten Gerichts erstaunlich großzügig: Ein Bürger, der sich mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert sieht, sucht sich schnell einmal die Hilfe eines Strafverteidigers. Diese Kosten der beschuldigten Person „für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte“ sind im Falle einer späteren Einstellung nach Art. 429 Abs. 1 StPO grundsätzlich vom Staat zu übernehmen (vgl. BGE 138 IV 197, 200 ff. E. 2.3). Entscheidend ist, ob die Mandatierung des Anwalts an sich und dessen konkreter Aufwand angemessen sind. Die Entschädigung ist deshalb häufig auch dann auszurichten, wenn kein Fall notwendiger oder gebotener amtlicher Verteidigung vorliegt.