Gehilfe als Täter

Unser Klient ist angeklagt des qualifizierten Handels mit Betäubungsmitteln, indem er willentlich und wissentlich die Gesundheit vieler Menschen in Gefahr brachte (vgl. Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG). Obwohl er klar nur eine untergeordnete Rolle gespielt hat, wird er als Täter verurteilt. Es nützt ihm nichts, dass sein Kollege den Handel mit Kokain organisierte, die Drogen besorgte, mit den Abnehmern in Kontakt stand und unseren Klienten vor allem als Kurier einsetzte. Dieser wusste um die Machenschaften und nahm so am Handel teil. Zudem wohnte er zusammen mit seinem Kumpel.  Im Betäubungsmittelstrafrecht werden auch geringfügige Beteiligungen nicht milder als Gehilfenschaft oder Anstiftung bestraft. Vielmehr wird praktisch jeder, der irgendwie mitmacht, als „Täter“ betrachtet. Ab 20 Gramm reinen Kokains nimmt die Praxis grundsätzlich einen qualifizierten Fall an, der mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr geahndet wird (vgl. Art. 19 Abs. 1 lit. a BetmG). So kommt es denn auch in unserem Fall.

Mit Schwiegermutters Bankkarte Geld bezogen

Nachdem sich die Frau von ihrem Mann getrennt hat, kommt zum Vorschein, dass sie während Jahren unrechtmäßig Geld vom Konto der Schwiegermutter abgehoben hat. Die Deliktssumme beläuft sich je nach Betrachtungsweise auf 35.000 bis 210.000 Franken. Das Vorgehen ist, wie wir nachträglich rekonstruieren können, immer gleich: Die Frau arbeitet in der Zeitungsfrühzustellung und geht sehr früh arbeiten. Dabei behändigt sie sich der Bankkarte der Schwiegermutter und lässt am Bankomaten im Dorf regelmäßig Geldbeträge zwischen 50 und 500 Franken raus. Teilweise zahlt sie die Beträge gleich wieder auf das gemeinsame Konto ihres Mannes ein, um so ihre übermäßigen Ausgaben auszugleichen. Wir reichen für die Schwiergermutter zunächst Strafanzeige und später Privatklage ein. Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage und das Gericht spricht die Frau wegen gewerbsmäßigen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage schuldigt und verurteilt sie zu einer bedingten Freiheitsstrafe (vgl. Art. 147 Abs. 2 StGB). Da die Frau weitgehend geständig ist, anerkennt sie die Zivilklage in substantiellem Umfang.  Den Tatbestand erfüllt, wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmäßig zu bereichern, durch unrichtige, unvollständige oder unbefugte Verwendung von Daten oder in vergleichbarer Weise auf einen elektronischen oder vergleichbaren Datenverarbeitungs- oder Datenübermittlungsvorgang einwirkt und dadurch eine Vermögensverschiebung zum Schaden eines andern herbeiführt oder eine Vermögensverschiebung unmittelbar danach verdeckt. Weil ein „Computer“ kein Mensch ist, scheitert der Betrug, so dass dieser Tatbestand zum Zuge kommen kann.

Haftung für falsche behördliche Auskunft

Unser Mandant verkaufte im Jahr 2013 eine große Parzelle am Siedlungsrand. Die Käuferin verlangte von ihm die schriftliche Zusicherung im Kaufvertrag, wonach es sich bei der Parzelle um ein «voll erschlossenes Baugrundstück» handle und «keine Erschließungskosten mehr zu bezahlen sind». Der Mandant war zu dieser Zusicherung bereit, nachdem er und die Gemeinde seit langem von der vollständigen Erschießung Ausgegangen waren. Zudem hatte ihm der zuständige Gemeinderat in einer mündlichen Unterredung aus­drücklich zugesichert, dass das Gebiet erschlossen sei. Im Rahmen des anschließenden Baubewilligungsverfahrens urteilte nun allerdings die Beschwerdeinstanz, dass die Parzelle ungenügend erschlossen sei; insbesondere die Zufahrtsstraße sei zu schmal. Die Käuferin rügte beim Mandanten prompt, die gekaufte Parzelle sei mangelhaft und es fehle ihr die zugesicherte Eigenschaft der Erschließung. Nach langwierigen Verhandlungen konnten sich die Parteien einigen, dass der seinerzeitige Verkäufer der Käuferin die provisorisch festgelegten Erschließungskosten bezahlt und somit letztlich einen Teil des Kaufpreises zurückzahlt (ca. 7%). Parallel dazu versuchten wir, diese Kosten von der Gemeinde zurückzufordern. Als Anspruchsgrundlage kam eine Haftung wegen falscher Auskunft gestützt auf den verfassungsmäßigen Vertrauensschutz in Art. 9 BV. Unter folgenden Voraussetzungen ist das Vertrauen des Bürgers in eine falsche, d.h. gesetzeswidrige Auskunft einer Behörde geschützt: inhaltlich genügend bestimmte falsche Auskunft als Vertrauensgrundlage; Zuständigkeit der auskunftserteilenden Behörde; Vorbehaltlosigkeit der Auskunft; fehlende Erkennbarkeit der Unrichtigkeit und folglich Gutgläubigkeit des Anfragers; nachteilige Disposition aufgrund der falschen Auskunft; keine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage; überwiegendes Interesse am Schutz des Vertrauens gegenüber dem öffentlichen Interesse ab der richtigen Rechtsanwendung. Nachdem der Gemeinderat vorliegend unumwunden zugibt, eine falsche Auskunft erteilt zu haben, streiten die Parteien letztlich noch über die «nachteilige Disposition». Denn die Versicherung der Gemeinde trägt vor, unserem Mandanten sei gar kein Schaden entstanden. Er habe das Grundstück 2013 zu teuer verkauft und jetzt einfach die fehlende Erschließung nachträglich berappen müssen. Klar ist allen, dass eine eigentliche Bindung der Gemeinde an die Vertrauensgrundlage nicht in Frage kommt, d.h. das Grundstück muss ungeachtet der falschen Auskunft nachträglich korrekt erschlossen werden. Somit geht es noch um die Frage der nutzlosen Aufwendungen unseres Mandanten. In Frage kommt vorliegend nicht eine eigentliche Staatshaftung, sondern Vertrauenshaftung für rechtmäßiges staatliches Handeln. Zu ersetzen ist wohl nur der Schaden im Sinne des negativen Interesses, d.h. der Mandant ist so zu stellen, als ob die falsche Auskunft nie erteilt worden wäre. Zu Ende gedacht, hätte der Mandant selbst das Grundstück erschließen müssen und danach denselben Kaufpreis wie 2013 erhalten (zeitliche Dauer, Inflation etc. ausgeblendet). Letztlich hatte der Mandant also gar keine nutzlosen Aufwände wegen der falschen Auskunft, außer die Bemühungen des Anwalts wegen der Mängelrüge und zur Regulierung. Genau diese Kosten ist die Versicherung der Gemeinde bereit zu tragen (vgl. dazu Bundesgerichtsurteil 2C_960/2013).

Kosten trotz Einstellung des Strafverfahrens

Die Staatsanwaltschaft beschließt, das Vorverfahren gegen unseren Mandanten einzustellen. Weil die mutmaßlich geschädigte Person ihren Strafantrag zurückgezogen hat, kann bei den vorgeworfenen Antragsdelikten (konkret: Art. 179bis ff. StGB) eine Bestrafung nicht mehr erfolgen. Dadurch fehlt dauerhaft eine Prozessvoraussetzung (vgl. Art. 319 Abs. 1 Bst. b StPO).

Dennoch ist unser Mandant nicht ganz „reingewaschen“. Weil er durch sein Verhalten das Verfahren überhaupt erst veranlasst und die Geschädigte zum Stellen eines Strafantrags veranlasst hat, soll er einerseits einen Teil der Verfahrenskosten tragen und andererseits für seine Aufwendungen im Verfahren keine Entschädigung erhalten (vgl. Art. 426 Abs. 2 bzw. Art. 430 Abs. 1 Bst. a StPO). Diese Kostenregelung ist nicht unproblematisch und steht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung (vgl. Art. 32 Abs. 1 BV; Art. 10 Abs. 1 StPO). Dennoch ist sie zulässig, wenn man dem Beschuldigten auf der zivilrechtlichen Ebene einen Vorwurf machen kann, d.h. der Vorwurf nicht auf ein strafrechtliches Verschulden abzielt. Dem Beschuldigten muss eine Verletzung von Art. 41 OR bzw. anderer zivilrechtlicher Normen wie Art. 28 ZGB oder weiterer Verhaltensnormen vorgeworfen werden können. Sein Verhalten muss das Strafverfahren veranlasst oder erschwert haben. Dabei darf sich die Kostenauflage lediglich auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_1394/2021, E. 2.2; BGE 144 IV 202, E. 2.2).

In unserem Fall sind die Voraussetzungen für eine solche Kostenregelung ausnahmsweise erfüllt bzw. erklärt sich der Mandant von sich aus damit einverstanden.

Vgl. auch „Verwirkt der Entschädigungsanspruch des Freigesprochenen? „(Blogg 13. Juni 2021)

Aufsichtsanzeige als bloßer Rechtsbehelf

Jede Person kann jederzeit Tatsachen, die im öffentlichen Interesse ein Einschreiten von Amtes wegen gegen Behörden und deren Mitarbeitende erfordern, der Aufsichtsbehörde anzeigen (vgl. § 38 VRPG/AG). In unserem Fall hat dies X. selbst beim kantonalen Departement gemacht, um die Untätigkeit der kommunalen Bauverwaltung bzw. des Gemeinderates als Baupolizeibehörde zu rügen. Konkret geht es um eine Kleinbaute in der Nachbarschaft, die vor ein paar Jahren zu nahe an der Grenze und ohne Baubewilligung erstellt wurde.

Wir klären ihn über die Aufsichtsanzeige auf. Insbesondere ist die Aufsichtsanzeige kein förmliches Rechtsmittel, das dem Betroffenen Parteirechte einräumt. Wenn immer möglich, sollte daher eine Verfügung verlangt werden, die man anschließend mit Anspruch auf Behandlung weiterziehen kann. Denn der Entscheid über eine Aufsichtsanzeige kann mangels Parteirechten nicht mit Beschwerde (vgl. §§ 41 ff. VRPG/AG) angefochten werden, sondern dagegen kann wiederum nur Aufsichtsanzeige an die nächsthöhere Verwaltungsbehörde geführt werden.

Die Aufsichtsanzeige hat immerhin eine „gute“ Seite: Das Verfahren ist unentgeltlich, außer die Anzeige wäre leichtfertig oder böswillig eingereicht worden. Außerdem kann der Anzeiger eine „Beantwortung“ erwarten (vgl. § 38 Abs. 2 und Abs. 3 VRPG/AG).

Sexuelle Belästigung durch Berührungen

Ob ein Verhalten allgemein als unständig empfunden wird oder ob es die Schwelle zum strafrechtlich Verbotenen überschreitet, ist nicht immer einfach zu beurteilen. In unserem Fall ist es aber klar: Durch Ausfragen zum Sexleben und durch körperliche Zudringlichkeiten mit Berührungen am Hintern und an den Brüsten ist die Schwelle zu sexuellen Handlungen (vgl. Art. 187 StGB) eindeutig nicht überschritten. Die Anklage lautete nur deshalb auf sexuelle Handlungen mit einem Kind, weil dieses die Antragsfrist von drei Monaten (vgl. Art. 31 StGB) für die möglichen sexuellen Belästigungen (Antragsdelikt: vgl. Art. 198 StGB) verpasst hatte. Die Vorfälle zwischen Großvater und Enkelin sollen im Sommer 2021 erfolgt sein, Anzeige/Strafantrag erstattete die 15-Jährige jedoch erst mehr als ein halbes Jahr später.

Als sexuelle Handlungen im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 bzw. Art. 189 Abs. 1 StGB gelten nur Verhaltensweisen, die für den Außenstehenden nach ihrem äußeren Erscheinungsbild einen unmittelbaren sexuellen Bezug aufweisen und im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut erheblich sind. Entscheidend für die Beurteilung der Erheblichkeit sind qualitativ die Art und quantitativ die Intensität und Dauer der Handlung, wobei die gesamten Begleitumstände zu berücksichtigen sind. Während das Küssen auf Mund, Wangen usw. in der Regel keine sexuelle Handlung darstellt, werden Zungenküsse von Erwachsenen an Kindern als sexuelle Handlung qualifiziert.

Wird die Schwelle der Erheblichkeit nicht erreicht, kann eine sexuelle Belästigung vorliegen. Gemäß Art. 198 Abs. 2 StGB macht sich der sexuellen Belästigung schuldig, wer jemanden tätlich oder in grober Weise durch Worte sexuell belästigt. Die Bestimmung erfasst geringfügigere Beeinträchtigungen der sexuellen Integrität. Es handelt sich um qualifiziert unerwünschte sexuelle Annäherungen bzw. um physische, optische und verbale Zumutungen sexueller Art. Aus dem Merkmal der Belästigung ergibt sich, dass das Opfer in diese weder eingewilligt noch sie provoziert haben darf. Die tätliche Belästigung gemäss Art. 198 Abs. 2 StGB setzt eine körperliche Kontaktnahme voraus. Dazu genügen bereits wenig intensive Annäherungsversuche oder Zudringlichkeiten, solange sie nur nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sexuelle Bedeutung haben. Hierunter fallen neben dem überraschenden Anfassen einer Person an den Geschlechtsteilen auch weniger aufdringliche Berührungen wie das Antasten an der Brust oder am Gesäß, das Betasten von Bauch und Beinen auch über den Kleidern, das Anpressen oder Umarmungen. Zu berücksichtigen ist, ob dem Opfer zugemutet werden kann, sich der Belästigung zu entziehen, was am Arbeitsplatz oder an ähnlichen Örtlichkeiten in der Regel weniger einfach ist als etwa in öffentlichen Lokalitäten (vgl. Urteil des Bundesgericht 6B_1102/2019 vom 28. November 2019; vgl. auch BGE 137 IV 263 E. 3.1).

Angesichts dieser Rechtsprechung sprach das Gericht unseren Mandanten frei.

Nachzahlungspflicht bei der unentgeltlichen Rechtspflege

Wer nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um nebst seinen Unterhalt auch noch einen Prozess zu finanzieren, erhält auf Gesuch hin unentgeltlichen Zugang zum Verfahren, sofern seine Position nicht von vornherein aussichtslos erscheint. Kann er überdies seine Interessen selbst nicht wahren, hat er Anspruch auf einen unentgeltlichen Rechtsbeistand (vgl. Art. 29 Abs. 3 BV; Art. 117 ff. ZPO).

Doch oft wird übersehen, dass die „unentgeltliche“ Rechtspflege grundsätzlich keinen definitiven Kostenerlass beinhaltet. Ausnahmen gibt es z.B. im Sozialversicherungsverfahren (vgl. Art. 37 Abs. 4 ATSG für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung, weil der Verweis aufs VwVG nicht gilt: BGE 144 V 97 ff.), bei der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung für Opfer von Straftaten (vgl. Art. 30 Abs. 3 OHG) oder im Bundesverwaltungsverfahren für die Gerichtskosten, nicht jedoch für die unentgeltliche Rechtsverbeiständung (Art. 65 Abs. 4 VwVG). Insbesondere wer „gratis“ Zivilverfahren wie Scheidungen oder Forderungsprozesse führt, muss die Nachzahlungspflicht beachten: Gelangt er oder sie nach rechtskräftigem Verfahrensabschluss zu genügenden finanziellen Mitteln, muss er oder sie die seinerzeit einstweilen auf die Staatskasse genommenen Gebühren und Anwaltskosten zurückbezahlen. Die Nachzahlungspflicht verjährt erst nach 10 Jahren (vgl. Art. 123 ZPO).

In unserem Fall konnten wir für unseren Klienten, der uns erst nach Vorliegen des letztinstanzlichen kantonalen Urteils engagiert hat, die Nachzahlungspflicht nicht mehr abwenden. Obwohl im Verfahren Vieles merkwürdig gelaufen war, das Obergericht z.B. die Berufung als Beschwerde behandelt hatte, und die Vorinstanzen die finanziellen Verhältnisse realitätsfremd eingeschätzt hatte, wies das Bundesgericht die Beschwerde ab. Nachzahlungsforderungen nach Art. 123 ZPO sind öffentlich-rechtliche Forderungen und entsprechend war – entgegen der falschen Rechtsmittelbelehrung des Obergerichts – die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zu ergreifen (vgl. Art. 82 ff. BGG). Mehrere interessante Fragen, die wir aufgeworfen hatten, konnten aus prozessualen Gründen höchstrichterlich nicht beantwortet werden, so z.B. die Tragweite der Mitwirkungspflicht im Nachzahlungsverfahren (vgl. BGer 2C_412/2022 vom 07. Dezember 2022).

Landesverweisung bei Flüchtlingseigenschaft

Wer wegen einer sog. Katalogtat verurteilt wird, wird grundsätzlich zwingend des Landes verwiesen (vgl. Art. 66a StGB). Bei anerkannten Flüchtlingen entsteht dadurch ein potentieller Konflikt, da sie ja an sich wegen einer Verfolgung in ihrer Heimat Schutz erhalten haben sollten. Dennoch steht die Flüchtlingseigenschaft der Anordnung der Landesverweisung nicht per se entgegen. Das Gericht muss freilich in derartigen Fällen das Vorliegen eines persönlichen Härtefalls besonders gut prüfen und die öffentlichen und privaten Interessen einander gegenüberstellen. Soweit die Verhältnisse stabil und die rechtliche (Un-)Durchführbarkeit der Landesverweisung bestimmbar ist, ist dies bereits bei der Urteilsfällung zu berücksichtigen. Völkerrechtlich in jedem Fall untersagt ist die Abschiebung in ein Land, wo das Leben oder die Freiheit des Beschuldigten wegen der Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit etc. gefährdet wäre, außer der Betroffene würde eine Bedrohung der nationalen Sicherheit oder sonst ein akute Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen (vgl. Art. 32 f. FK). Auch eine Gefährdung im Sinne des Folterverbots (vgl. Art. 3 EMRK) sowie ein möglicher Eingriff in das Recht auf Familienbeziehung (vgl. Art. 8 EMRK) sind selbstredend zu berücksichtigen. Grundsätzlich bedeutet aber eben eine Katalogtat die automatische Landesverweisung, die allenfalls später halt nicht vollzogen werden kann (vgl. Art. 66d StGB).

In unserem Fall erfolgt eine Verurteilung u.a. wegen versuchter schwerer Körperverletzung, einfacher Körperverletzung, Diebstahls, mehrfachen Hausfriedensbruchs, Drohung, mehrfacher Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte etc. Da damit einerseits eine (mittlere) Gefahr für die öffentliche Ordnung der Schweiz erstellt und andererseits gleichzeitig keine konkrete Gefährdung des Beschuldigten in seiner Heimat glaubhaft gemacht ist, ist die Landesverweisung auszusprechen. Zudem verfügt der Beschuldigte über keinerlei Bezugspunkte zur Schweiz, hat insbesondere keine familiären Beziehungen.

Die Bundesbehörden gewährten dem Beschuldigten seinerzeit erstaunlicherweise ohne vertiefte Prüfung und ohne Begründung Asyl. Dies und der Umstand, dass der Beschuldigte im Asylverfahren lediglich den Wunsch geäußert hatte, hierzulande ein neues Leben aufbauen wolle, vermag somit nichts an der obligatorischen Landesverweisung zu ändern.

Großzügige Auslegung des Territorialitätsprinzips

In einem Fall von uns macht das Bundesgericht klar, dass in der Schweiz auch strafbar ist, wer in Grenzübergangsstellen auf deutschem Gebiet „geschnappt“ wird. Im zur amtlichen Publikation vorgesehenen Urteil 6B_1133/2021 vom 1. Februar 2023 spricht es sich dafür aus, dass zu den Schweizer Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die schweizerische Beamte in den Grenzabfertigungsstellen im Zusammenhang mit dem Grenzübertritt in Deutschland anwenden, letztlich sämtliche Normen des gemeinen Strafrechts sowie des Nebenstrafrechts gehören (vgl. Art. 4 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland über die Errichtung nebeneinanderliegender Grenzabfertigungsstellen und die Grenzabfertigung in Verkehrsmitteln während der Fahrt vom 1. Juni 1961 [SR 0.631.252.913.690]). Zu den „Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften des Nachbarstaates, die sich auf die Grenzabfertigung beziehen“ gehören damit nicht nur die Vorschriften eigentlicher zollrechtlicher Bundeserlass, sondern namentlich auch die in der Praxis wichtigen SVG-Strafbestimmungen.

Das Urteil ist aus Praktikabilitätsgründen nachvollziehbar, vor dem Hintergrund des Territorialitätsprinzips (vgl. Art. 3 StGB) sowie des Legalitätsprinzips und des Bestimmtheitsgebots (vgl. Art. 1 StGB) jedoch sehr heikel. Der Regierung ist nach unserem Dafürhalten die Befugnis abzusprechen, über Verwaltungsverordnungen die Strafbarkeit derart auszuweiten.

 

Kein Strafregistereintrag bei Übertretungen

Unser Klient ist Geschäftsführer eines Unternehmens im Pflegebereich. Als ihm ein Strafbefehl ins Haus flattert, der ihm eine Buße von 700 Franken für einen Verstoß gegen das Bundesgesetz gegen die Schwarzarbeit (BGSA) auferlegt, bittet er uns um Rat.

Wir stellen fest, dass er aufgrund der Zurechnungsnorm von Art. 29 StGB als Organ für angebliche Unterlassungen im Zusammenhang mit der Mitwirkungspflicht bei ausländischen Arbeitnehmern (vgl. Art. 8 BGSA) in seinem Unternehmen bestraft werden soll.

Wir sind der Meinung, dass eine Strafbarkeit womöglich schon deshalb entfällt und somit erfolgreich Einsprache gegen den Strafbefehl erhoben werden könnte, weil dem Klienten kein Vorsatz nachgewiesen werden kann. Das BGSA bestraft nämlich nur vorsätzliche Widerhandlungen (vgl. Art. 18 BGSA).

Für den Manager ist die Frage, ob er verurteilt wird oder nicht, indessen nicht so wichtig, weil die Buße finanziell nicht ins Gewicht fällt. Für ihn persönlich ist entscheidend, ob er aufgrund des Strafbefehls später Probleme kriegen kann, insbesondere ob er dann als vorbestraft gilt. Diesbezüglich können wir ihn beruhigen: Im Strafregister werden nur Verbrechen und Vergehen, grundsätzlich aber nicht Verurteilungen wegen Übertretungen wie die seine eingetragen. Strafbefehle wegen Übertretungen werden vielmehr erst ab einer Bußenhöhe von 5000 Franken eingetragen (vgl. Art. 366 Abs. 2 lit. b StGB; Art. 3 Abs. 1 lit. c Vostra-Verordnung).

Unsere Auskunft reicht ihm, um den wahrscheinlich „falschen“ Strafbefehl zu akzeptieren.