Ausschaffung wegen Corona undurchführbar

Das Bundesgericht entscheidet grundsätzlich in Dreierbesetzung, wenn nicht schon vorher ein Einzelrichter wegen offensichtlicher Unzulänglichkeiten auf die Beschwerde gar nicht erst eintritt (vgl. Art. 20 und Art. 108 f. BGG). Über eine Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, die wir gegen eine Verlängerung der Ausschaffungshaft eingereicht hatten, entschied der Supreme Court indes am 25. Mai 2020 in Fünferbesetzung.

Wir hatten dem Bundesgericht die Frage unterbreitet, ob es zulässig sei, die in Art. 80 Abs. 2 AIG vorgeschriebene mündliche Haftprüfungsverhandlung via Skype, also ohne physische Präsenz der Parteien, durchzuführen. In der Beschwerde beantragten wir die Kassierung eines entsprechenden Urteils des Verwaltungsgerichts und die unverzügliche Freilassung unseres Klienten, nachdem das Gericht wegen der Corona-Pandemie ohne Antrag einer Partei von sich aus eine Haftüberprüfung via Skype angeordnet hatte, bei der alle Parteien und Beteiligten nur digital zugeschaltet wurden. Im Rahmen des rechtlichen Gehörs hatte unser Klient, der soeben Vater geworden war und dem in der allgemeinen Corona-Hysterie jegliche Besuche im Ausschaffungsgefängnis verboten worden waren, zuvor ausdrücklich eine richtige Gerichtsverhandlung verlangt.

In der Entscheidung 2C_312/2020 vom 25. Mai 2020 prüft das Gericht leider die formellen Einwände (vgl. Beschwerde, Rz. 14 ff.) gegen die Haftprüfung via Skype nicht. Dennoch heißt es die Beschwerde in der Sache gut. Aufgrund der Corona-Pandemie sei derzeit entgegen der Vorinstanz eine Durchführung der Ausschaffung nicht absehbar. Die Vorinstanz habe zu Unrecht auf die maximal zulässige Haftdauer von 18 Monaten abgestellt, anstatt den Einzelfall genauer zu prüfen. Entscheidend sei, ob der Wegweisungsvollzug mit hinreichender Wahrscheinlichkeit innert absehbarer Zeit möglich erscheint oder nicht. Die Haft verstößt gegen Art. 80 Abs. 6 Bst. a AIG und ist zugleich unverhältnismäßig, wenn triftige Gründe dafür sprechen, dass die Wegweisung innert vernünftiger Frist nicht vollzogen werden kann. Auch der Hinweis des Staatssekretariats für Migration, wonach Sonderflüge nicht ausgeschlossen seien, sei zu vage im Hinblick auf die praxisgemäß verlangte Durchführbarkeit innert absehbarer Zeit.

Weil die verlängerte Ausschaffungshaft nicht mehr gerechtfertigt ist, verletzt sie gleichzeitig die Habeas Corpus-Rechte gemäß Art. 5 Ziff. 1 Bst. f EMRK. Das Bundesgericht ordnet daher konsequenterweise die unverzügliche Freilassung unseres Mandanten an.

 

 

Ein Vorvertrag kann durchaus sinnvoll sein

Das Ehepaar V. will ihre erfolgreiche GmbH an K. verkaufen. Die Übergabe soll mittels Singularsukzession einzelner Aktiven an ein zu gründendes Neues Unternehmen und Umfirmierung des bisherigen Unternehmens erfolgen. Die neue GmbH soll den produktiven Teil übernehmen, die alte GmbH soll zum Zweck der Verwaltung und Immobilienbewirtschaft teilweise weitergeführt werden. Weil einerseits eine GmbH Übergabegegenstand bildet und andererseits nur Aktiven übergehen sollen, ist weder Art. 181 OR noch Art. 69 ff. FusG anwendbar.

V. legt uns eine Vereinbarung vor, die sie selbst bzw. ihr Treuhänder entworfen hat. Wir kommen zum Schluss, dass es sich bei dem Dokument unabhängig von seiner Bezeichnung als „Absichtserklärung“ über weite Strecken um einen Vorvertrag gemäß Art. 22 OR handelt. Die unpräzise Bezeichnung eines privatrechtlichen Rechtsgeschäftes schadet allerdings nicht; stets ist der wahre, übereinstimmende Parteiwille entscheidend (falsa demonstratio non nocet: vgl. Art. 18 Abs. 1 OR).

In Lehre und Rechtsprechung sind Sinn und Berechtigung des Vorvertrages umstritten. Verpflichten sich zwei Parteien verbindlich, einen Hauptvertrag einzugehen, und vereinbaren sie darin bereits die wesentlichen Punkte, liegt kein Vorvertrag vor, sondern sie schließen bereits den Hauptvertrag ab. In der vorliegenden Konstellation ist der Abschluss eines Hauptvertrages rechtlich allerdings noch gar nicht möglich, da Teile der alten GmbH dereinst an die neue GmbH verkauft werden soll, die erst noch gegründet werden muss. V. schließt also mit der natürlichen Person K. einen Vorvertrag, in dem die Parteien die wesentlichen Punkte der späteren Nachfolgeregelung unter sich bereits verbindlich regeln. K. verpflichtet sich, dass er später mit der neuen GmbH den Hauptvertrag mit V. schließen wird. Der Kaufpreis wird bereits verbindlich festgelegt. Im Gegensatz zur reinen Absichtserklärung („letter of intent“) erhalten die Parteien beim Vorvertrag, wie vorliegend, einen einklagbaren Anspruch auf Abschluss des Hauptvertrages (vgl. Bundesgerichtsurteil 4A_390/2015 vom 18. November 2015, E. 3.3.).

Wir weisen unsere Mandantschaft auf einige problematische Klauseln hin, verlangen eine klarere Regelung der Rechtsfolgen von Vertragsverletzungen, einen Ausschluss der Gewährleistungspflicht, eine Präzisierung der vorgesehenen Konventionalstrafe, eine Überarbeitung der heiklen Bestimmungen über „Änderungskündigungen“ bzw. Übergang der Arbeitsverhältnisse etc.

Vorladung im Strafverfahren zwingend an Beschuldigten

In einem Strafverfahren eröffnet uns das erstinstanzliche Gericht die Vorladung für die Hauptverhandlung. Wir erhalten aber nicht nur unsere eigene Vorladung als amtliche Verteidigung, sondern auch diejenige der beschuldigten Person, die wir gestützt auf Art. 137 ZPO (!) dieser bitte weiterleiten sollen. Verbeiständete Parteien würden keine direkten Zustellungen vom Gericht erhalten.

Die Vorgehensweise ist doppelt falsch. Zum einen stützt sie sich auf die Zivilprozessordnung, obwohl es sich um ein Strafverfahren handelt, das durch die Strafprozessordnung geregelt wird. Zum anderen müssen dort Strafbehörden Mitteilungen, die zu einer persönlichen Teilnahme verpflichten, unabhängig von einem Vertretungsverhältnis zwingend der betroffenen Person zustellen; Rechtsbeistände erhalten lediglich eine Kopie (vgl. Art. 87 Abs. 4 StPO).

Wir informieren unsere Klientschaft und schicken die Vorladung dem Gericht zwecks ordnungsgemäßer Zustellung zurück.

Ein Strafbefehl kostet 630,- Franken

Die Strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts vertritt in der Entscheidung 6B_253/2019 vom 1. Juli 2019 die Meinung, die Gebühren für einen Strafbefehl könnten nicht nur quantitativ gemäß Aufwand, sondern auch nach dem qualitativen Kriterium des Strafmaßes bemessen werden. Wir zeigen in einer publizierten Würdigung auf, dass diese Auffassung im Hinblick auf Art. 422 Abs. 1 StPO und verfassungsrechtliche Prinzipien problematisch ist.

Lesen Sie hier unsere Urteilsanmerkung zum Urteil des Bundesgerichts 6B_253/2019 vom 1. Juli 2019. Der kurze Aufsatz ist im Juni 2020 in der Zeitschrift Forumpoenale Heft Nr. 3/2020 S. 195ff. erschienen.