Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr

Untersuchungshaft ist die einschneidenste Zwangsmaßnahme, die eine beschuldigte Person der Freiheit beraubt. Sie setzt einen dringenden Tatverdacht mit Bezug auf ein Vergehen oder Verbrechen sowie einen besonderen Haftgrund voraus. Ein solcher kann auch in der sog. Wiederholungsgefahr bestehen, d.h. wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass der Beschuldigte Drittpersonen durch die Begehung von schweren Vergehen oder Verbrechen erheblich gefährdet, nachdem er dies schon mehrfach getan hat (vgl. Art. 221 Abs. 1 StPO). Die U-Haft für Wiederholungsgefahr ist eigentlich systemfremd, da Zwangsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Beweise sichern und die Anwesenhait von Personen im Verfahren sowie die Vollstreckung von Urteil sicherstellen sollen (vgl. Art. 197 StPO), aber nicht der polizeiliche Prävention dienen.

In unserem Fall kämpften wir als notwendige amtliche Verteidigung (vgl. Art. 130 i.V.m. Art. 132 Abs. 1 Bst. a StPO) für X. gegen die Haftverlängerung. Nachdem, wie nicht anders zu erwarten war, die kantonale Justiz die Haftverlängerung abgesegnet hatte, wies das Bundesgericht im Urteil vom 19. Juli 2019 (1B_313/2019) eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen ab. Das oberste Gericht weist auf die drei Voraussetzung der Wiederholungsgefahr hin, die in casu erfüllt seien: Vortatenerfordernis, Gefährung der Sicherheit anderer durch Vergehen oder Verbrechen, negative Rückfallprognose. In der jüngeren Vergangenheit lockerte das Gericht seine Praxis, indem es neu nur noch eine schlechte und nicht mehr eine sehr schlechte Prognose verlangt. Die systematische Verletzung von Teilnahmerechten durch die Staatsanwaltschaft, die vorliegend zur Unverwertbarkeit auch des ersten Vorabgutachtens betreffend die Gefährlichkeit des Beschuldigten führen müsste, ließ das Bundesgericht weitgehend unkommentiert; dies zu beurteilen sei Aufgabe des Sachrichters. Es sei in Ordnung, dass X. nun mindestens bis zum Vorliegen des Hauptgutachtens in Untersuchungshaft belassen werde.

Raser verlieren ihr Auto nicht in jedem Fall

Auf Schweizer Landstraßen gilt eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h. Wer 60 km/h zu schnell fährt, also 140 km/h oder noch schneller unterwegs ist, gilt als „Raser“. Er begeht gemäß Gesetz „in jedem Fall“ eine „besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit“ und wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis vier Jahre bestraft (Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG). Das Bundesgericht anerkennt immerhin nach anfänglichem Zögern, dass „in jedem Fall“ nicht ungeachtet eines ausnahmsweise fehlenden Vorsatzes die harte Bestrafung nach sich ziehen darf (BGE 142 IV 137 ff.).

Unser Mandant wird abzüglich der Toleranz außerorts mit genau 140 km/h geblitzt. Das Fahrzeug ist zwar auf seinen Namen zugelassen, doch es wird zur Hauptsache von der Ehefrau als Familienauto genutzt, weil der Mandant normalerweise mit seinem Geschäftsauto herumfährt. Dennoch beschlagnahmt die Staatsanwaltschaft vorliegend das Fahrzeug als Tatwerkzeug standardmäßig zur Sicherstellung seiner möglichen späteren Einziehung durch das Gericht (Art. 90a SVG; Art. 263 StPO).

Der Mandant ist geständig. Wir können durch Einwilligung ins abgekürzte Verfahren bei der Staatsanwältin erreichen, dass das Fahrzeug nach wenigen Wochen freigegeben und der Ehefrau des Mandanten ausgehändigt wird. Außerdem erhält unser Mandant die minimale Freiheitsstrafe auf Bewährung und eine happige Buße dazu (Art. 42 Abs. 4 StGB). Das Gericht akzeptiert schließlich den „Deal“ (Art. 362 StPO).

(Foto: Autos im Hochland bei Emstrur, Island, Stefan Meichssner, August 2017)

 

Polizist als Anzeiger, Ermittler und Zeuge in einem

Polizist P. ist privat in seinem Personenwagen unterwegs. Auf der Autobahn A2/3 vor und im Schweizerhalle-Tunnel glaubt er, unseren Mandanten M. im Nebenfahrzeug fahrend bei ca. 100 km/h beim Blättern und Lesen einer Broschüre auf dem Lenkrad gesehen zu haben. Am folgenden Tag ermittelt P. das Geschäft von M. als Halter des betroffenen Fahrzeuges und ruft diesen an. M. gibt daraufhin zu, am Vortag zu der fraglichen Zeit mit dem Fahrzeug gefahren zu sein. Als M. anschließend eine E-Mail von P. mit einer zu unterschreibenden  „Sachverhaltsanerkennung“ erhält, kontaktiert er uns. Wir raten, den Sachverhalt zu bestreiten und die Unterschrift zu verweigern.

Es beginnt ein Strafverfahren, dass erst mit einem Freispruch durch das Kantonsgericht Basel-Landschaft als zweiter Instanz endet, nachdem das Strafgericht als erste Instanz die Buße der Staatsanwaltschaft wegen einfacher Verkehrsregelverletzung noch bestätigt hatte. Das Kantonsgericht erachtet in seinem Urteil vom 1. November 2016 die Glaubwürdigkeit von P. als „angekratzt“. Dieser hatte nämlich im Vorverfahren von einer Kontrollfahrt gesprochen und dadurch den Anschein erweckt, in polizeilicher Mission unterwegs gewesen zu sein. Erst auf Nachfrage der Verteidigung gab er zu, an jenem Tag privat und alleine gefahren zu sein. Im Gegensatz dazu ist M. nach Ansicht der Kantonsrichter glaubwürdig, da er von Anfang an die Fahrt an sich zugegeben, jedoch das Lesen von Dokumenten bestritten habe.

Das Kantonsgericht hält schließlich fest, dass das Verhalten von P. mit seinen mehreren Funktionen im Hinblick auf die Ausstandsregeln von Art. 56 StPO heikel sei. Er sei als Anzeigeerstatter, Ermittler und Zeuge aufgetreten.

(Bild: Stefan Meichssner, Seebrücke von Sellin, Rügen)