Geliebte als „money mule“

Ein „money mule“, zu deutsch Geldesel, ist eine Person, welche für Geldwäsche missbraucht wird. Die Person wird, z.B. durch ein vermeintliches Jobangebot, dazu gebracht, ihr Bankkonto zur Verfügung zu stellen. In unserem Fall nimmt ein angeblicher afrikanischer „Student“ in Deutschland über Tinder Kontakt mit dem „Geldesel“ auf und beginnt eine Fernbeziehung mit ihm. Der „Geldesel“ ist eine junge Frau, die dazu gebracht wird, ihr Bankkonto für den „Studenten“ und dessen Kollegen zur Verfügung zu stellen.

Eines Tages kündigt der „Student“ gegenüber der jungen Frau an, er werde einen größeren Betrag auf ihr Konto überweisen und sie solle zunächst rund die Hälfte auf ein anderes Konto weiterleiten. Gegen den Willen der Frau, den sie umgehend per Whatsap kundtut, wird der Betrag auf ihrem Konto gutgeschrieben. Am nächsten Tag meldet sich die Bank und sperrt den Betrag. Es stellt sich heraus, dass das Geld einem ausländischem Unternehmen durch Phishing gestohlen worden ist. Die Frau erklärt sich bereit, das Geld dem rechtmäßigen Besitzer zurückzuerstatten.

Die Bank macht dessen ungeachtet gestützt auf Art. 9 GwG Meldung an die Geldwäschereistelle (MROS) beim Bundesamt für Polizei. Diese meldet den Fall der Kantonalen Staatsanwaltschaft, die ein Vorverfahren wegen des Verdachts auf Geldwäscherei (Art. 305bis StGB) eröffnet. Mit der Verteidigung beauftragt, begleiten wir die Frau an die Einvernahme. Dort kooperiert sie mit dem Staatsanwalt und legt dar, dass sie naiv und ohne Vorsatz in die Sache hineingeschlittert ist und das Geld umgehend zurückerstattet hat. Daraufhin stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein (Art. 319 ff. StPO), verlegt die Kosten auf die Staatskasse und spricht der Frau keine Entschädigung zu (Art. 430 Abs. 1 StPO).

Die Einstellung erfolgt insbesondere deshalb, weil die Frau alles getan hat, um den Schaden wiedergutzumachen, und ihr Verhalten generell nicht strafwürdig erscheint (Art. 53 StGB; Art. 8 StPO). Wir sind überdies der Auffassung, dass der „money mule“ gar keinen Vorsatz hinsichtlich der Vortat gehabt hat und auch deshalb eingestellt werden müsste.

Keine Staatshaftung bei nichtiger Verfügung

Unser Mandant M. baute vor vielen Jahren gestützt auf eine kommunale Baubewilligung eine Liegenschaft mit großzügigem Garten. Obwohl sich ein Teil der Parkanlage mit Teich außerhalb der Bauzone befindet, bewilligte die Gemeinde entgegen den klaren Bestimmungen des Raumplanungsgesetzes das Bauvorhaben. Nur durch Zufall stellte die kantonale Abteilung für Baubewilligungen Jahre später die „illegale“ Parkanlage im Landwirtschaftsgebiet fest. Prompt erließ die Behörde eine Rückbauverfügung. Für M. wehrten wir uns dagegen. Im  Beschwerdeverfahren stellte der Regierungsrat als Beschwerdeinstanz die Nichtigkeit der Baubewilligung in Bezug auf die Bauten und Anlagen außerhalb der Bauzone fest und führte aus, der verfügte Rückbau sei nicht unverhältnismäßig. Der Beschwerdeführer sei nicht gutgläubig gewesen und ihm sei der Rückbau trotz der erheblichen Investitionen zumutbar. Nur für einen kleinen Teil der Anlage sah die Beschwerdeinstanz von einem Rückbau ab.

Nach Rechtskraft verlangt M. von der Gemeinde unter dem Titel Staatshaftung Schadenersatz. Die Gemeinde ist nur gerade bereit, auf die Einrede der Verjährung zu verzichten, lehnt jedoch jegliche Ansprüche von M. ab, obwohl sie im Beschwerdeverfahren ein Fehlverhalten noch ausdrücklich zugestanden und auch der Regierungsrat auf die Fehler hingewiesen hatte.

Daher reichen wir gestützt auf das kantonale Haftungsgesetz gegen die Gemeinde Klage beim Verwaltungsgericht ein, mit der wir im Sinne einer Teilklage vorerst nur die klar ausgewiesenen Rückbaukosten für M. einklagen. Voraussetzung für eine Staatshaftung ist, dass eine Behörde einem Bürger einen Schaden zufügt, den sie widerrechtlich verursacht hat, und ein Kausalzusammenhang zwischen der schädigenden Handlung bzw. Unterlassung und dem Schaden besteht. Die Bestimmungen und die Doktrin zur deliktischen Haftung des Privatrechts gelten grundsätzlich als kantonales Verwaltungsrecht.

Das Gericht weist M.s Klage ab. Es geht zwar zwischen den Zeilen auch von einer schweren Amtspflichtsverletzung aus, indem die Gemeinde seinerzeit eine nichtige Verfügung erlassen hat. Dennoch verneint es die für eine Staatshaftung erforderliche Widerrechtlichkeit. Die Bau- und Planungsvorschriften schützten nicht primär das Vermögen des Betroffenen. Daher sei nach der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie der reine Vermögensschaden im Sinne des Verhaltensunrechts nicht ersatzfähig. Schadensersatz gäbe es nur bei einer Verletzung absolut geschützter Rechtsgüter oder eben – bei reinen Vermögensschäden – bei Verletzung von Schutznormen, welche spezifisch das Vermögen des Betroffenen schützen. Unsere Hinweise auf andere Lehrmeinungen vermögen das Verwaltungsgericht nicht zu überzeugen (vgl. WKL.2019.1).

In der Konsequenz haftet die Gemeinde oder der Staat also selbst bei groben Fehlern nicht, es sei denn, die verletzte Norm schütze auch und vor allem das Vermögen des Betroffenen. Immerhin ist dies unter Umständen bei einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gemäß Art. 29 Abs. 1 BV der Fall, wenn die Behörde nicht innerhalb angemessener Frist entscheidet und dadurch dem Betroffenen ein Schaden entsteht (vgl. BGE 144 I 318, 335 E. 7.3.2 betreffend unterlassene Nutzungsplanung und Staatshaftung Waadt).

Das Pferd und die Unterhose

Bei einem bizarren Fall konnten wir für unseren Mandanten einen Freispruch erzielen. Der Mann war wegen Tierquälerei und Hausfriedensbruchs angeklagt. Eine Unterhose mit seiner DNA sowie ein weggeworfener Einzahlungsschein mit seinem Namen war auf einer Pferdekuppel gefunden worden, wo ein Pferd missbraucht worden war.

Das Fernsehen berichtete am 17. Juli 2019.

Der Freispruch erfolgte im Zweifel für den Angeklagten (vgl. Art. 10 Abs. 3 StPO), weil die Indizien in der Nähe des Tatorts die Täterschaft nicht belegten. Der Beschuldigte brachte erfolgreich vor, er hätte die Gegenstände in den Müll geworfen; sie seien anschließend womöglich von einem Tier oder einer Drittperson an den Tatort gebracht worden war. Wohnort und Tatort befinden sich am Siedlungsrand. Am verletzten Pferde selbst war keine DNA des Beschuldigten festgestellt worden.

Wegen der durchgeführten Hausdurchsuchung und dem Freiheitsentzug von mehr als drei Stunden konnten wir für unseren Mandanten außerdem eine Genugtuung gestützt auf Art. 429 Abs. 1 Bst. c StPO erwirken.

Untersuchungshaft wegen Wiederholungsgefahr

Untersuchungshaft ist die einschneidenste Zwangsmaßnahme, die eine beschuldigte Person der Freiheit beraubt. Sie setzt einen dringenden Tatverdacht mit Bezug auf ein Vergehen oder Verbrechen sowie einen besonderen Haftgrund voraus. Ein solcher kann auch in der sog. Wiederholungsgefahr bestehen, d.h. wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass der Beschuldigte Drittpersonen durch die Begehung von schweren Vergehen oder Verbrechen erheblich gefährdet, nachdem er dies schon mehrfach getan hat (vgl. Art. 221 Abs. 1 StPO). Die U-Haft für Wiederholungsgefahr ist eigentlich systemfremd, da Zwangsmaßnahmen gemäß Strafprozessordnung Beweise sichern und die Anwesenhait von Personen im Verfahren sowie die Vollstreckung von Urteil sicherstellen sollen (vgl. Art. 197 StPO), aber nicht der polizeiliche Prävention dienen.

In unserem Fall kämpften wir als notwendige amtliche Verteidigung (vgl. Art. 130 i.V.m. Art. 132 Abs. 1 Bst. a StPO) für X. gegen die Haftverlängerung. Nachdem, wie nicht anders zu erwarten war, die kantonale Justiz die Haftverlängerung abgesegnet hatte, wies das Bundesgericht im Urteil vom 19. Juli 2019 (1B_313/2019) eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen ab. Das oberste Gericht weist auf die drei Voraussetzung der Wiederholungsgefahr hin, die in casu erfüllt seien: Vortatenerfordernis, Gefährung der Sicherheit anderer durch Vergehen oder Verbrechen, negative Rückfallprognose. In der jüngeren Vergangenheit lockerte das Gericht seine Praxis, indem es neu nur noch eine schlechte und nicht mehr eine sehr schlechte Prognose verlangt. Die systematische Verletzung von Teilnahmerechten durch die Staatsanwaltschaft, die vorliegend zur Unverwertbarkeit auch des ersten Vorabgutachtens betreffend die Gefährlichkeit des Beschuldigten führen müsste, ließ das Bundesgericht weitgehend unkommentiert; dies zu beurteilen sei Aufgabe des Sachrichters. Es sei in Ordnung, dass X. nun mindestens bis zum Vorliegen des Hauptgutachtens in Untersuchungshaft belassen werde.

Konkurrenzverbot für Gesellschafter

A. möchte sich von der GmbH, in der er Verwaltungsrat ist und die Geschäftsführung innehat, lossagen und etwas Eigenes auf die Beine stellen. Zu schlecht ist das Verhältnis mit den übrigen Gesellschaftern. Er möchte von uns wissen, ob er die GmbH konkurrenzieren darf.

Das GmbH-Recht (vgl. Art. 772 ff. OR) sieht als Ausfluss der Sorgfalts- und Treuepflicht ein grundsätzliches Verbot konkurrenzierender Tätigkeiten vor. Einem Geschäftsführer sind nur mit schriftlicher Zustimmung aller Gesellschafter Geschäfte, die ihm zu besonderem Vorteil gereichen oder die den Zweck der Gesellschaft beeinträchtigen könnten, erlaubt (vgl. Art. 812 Abs. 3 OR). In A.s GmbH dehnen die Statuten (Satzung) dieses Verbot auf alle Gesellschafter aus, also auch auf die nicht geschäftsführenden.

Doch es gibt für A. eine gute Nachricht: Er hat kein weitergehendes Konkurrenzverbot analog dem arbeitsrechtlichen (vgl. Art. 340 ff. OR) unterzeichnet, das regelmäßig mit einer Konventionalstrafe verstärkt wird. Die Sorgfalts- und Treuepflicht und damit auch das gesellschaftsrechtliche Konkurrenzverbot erlöschen also, sobald A. aus der GmbH ausscheidet und eigene Wege geht.

Verein muss nur „Milchbüchleinrechnung“ führen

Verein V., der die Interessen der Bewohner in einer größeren Überbauung wahrnimmt und namentlich das kulturelle Leben fördert, hat seit Jahren mit schwierigen Mitgliedern zu kämpfen. Ein paar ältere Herren tuen sich schwer mit dem Vorstand und schikanieren ihn, wo sie nur können. Ein pensionierter Buchhalter sucht jeweils nach Fehlern in der Jahresrechnung. Unterstützt von einem Anwalt klagen die Mitglieder den Verein ein und verlangen u.a., dass er rückwirkend eine detaillierte Betriebsrechnung für das Betriebslokal erstellt und die Aktiven inventarisiert.

Das Gericht weist die Klage ab und gibt unserem V. recht. Es gibt, so das Gericht, keine gesetzliche und vorliegend auch keine statutarische Pflicht des Vorstands, eine Betriebsrechnung entsprechend den strengen Buchführungs- und Rechnungslegungsvorschriften von Art. 957 ff. OR zu erstellen. Vielmehr muss ein Verein im Sinne der Art. 60 ff. ZGB, der nicht zur Eintragung ins Handelsregister verpflichtet ist, lediglich Buch über Einnahmen und Ausgaben führen (vgl. Art. 957 Abs. 2 OR). Im Rahmen dieser erleichterten Buchführung muss eine geeignete Form der Darstellung von Einnahmen und Ausgaben sowie der Vermögenswerte gefunden werden. Dementsprechend ist auch eine Inventarisierung sämtlicher Aktiven nicht erforderlich – und vorliegend wie bei den meisten Vereinen mit vernünftigem Aufwand auch nicht möglich. Es genügt schweizericher Vereinstradition folgend eine einfache „Milchbüchleinrechnung“.

Krankentaggelder und IV

Die Taggeldversicherung stellt ihre Leistungen ein, nachdem die Invalidenversicherung (IV) ihre Leistungspflicht mit Vorbescheid verneint hat. Grund ist, dass die IV eine volle medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit und keine genügende Erwerbseinbuße feststellt.

Die Taggeldversicherung richtet ihre Leistungen wieder aus, nachdem wir sie darauf hingewiesen haben, dass erstens keine Bindungswirkung zwischen dem IV-Entscheid und der Taggeldversicherung bestehe und dass sie sich zweitens nicht voraussetzungslos auf die Schadenminderungspflicht berufen kann.

Die Taggeldzahlungen darf ihre Leistungen nicht einzig mit Verweis auf den negativen IV-Entscheid einstellen. Anders als die IV, welche die Erwerbsunfähigkeit versichert und die medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit von Anfang an berücksichtigt, ist die Taggeldversicherung an die Arbeitsfähigkeit gebunden, die sich auf die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit bezieht. Das medizinisch-theoretisch zumutbare Belastbarkeitsprofil darf die Taggeldversicherung erst nach langer Dauer der Arbeitsfähigkeit mitberücksichtigen. Die Taggeldversicherung darf sich nicht voraussetzungslos auf die Schadenminderungspflicht des Arbeitnehmers berufen. Sie muss dem Arbeitnehmer zu einem Berufswechsel auffordern und ihm eine angemessene Anpassungszeit einräumen. Dabei muss sie konkret zumutbare Stellen nennen und aufzeigen, dass diese auch tatsächlich verfügbar sind. Anders als die IV darf sie sich dabei nicht auf den ausgeglichenen, sondern muss sich auf den konkreten Arbeitsmarkt beziehen.

Auch nach Vollzug des Berufwechsels, also wenn der Arbeitnehmer eine neue Stelle gefunden hat, erlischt die Leistungspflicht der Taggeldversicherung nicht automatisch. Die Taggeldversicherung muss den Anspruch auf ein sogenanntes Resttaggeld prüfen, wenn der Arbeitnehmer in der neuen Stelle im Vergleich zur ursprünglichen (und versicherten) Stelle weniger verdient. Die höheren Anforderungen an die Schadenminderungspflicht sind unter anderem in der klar definierten und relativ kurzen Leistungsdauer begründet.

Natürlich gewachsener Geländeverlauf

Im alten Aargauer Baurecht war für die Höhenbestimmungen der bei Baugesuch bestehende Verlauf des Bodens relevant. Auf frühere Verhältnisse war nur dann zurückzugreifen, wenn das Terrain im Hinblick auf das aktuelle Bauvorhaben aktiv verändert worden war. Entsprechende Manipulationen waren einer Bauherrschaft selten nachzuweisen. So konnte mitunter höher als eigentlich zulässig gebaut werden.

Neu gilt gemäß dem Interkantonalen Konkordat über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB) als maßgebendes Terrain der natürlich gewachsene Geländeverlauf. Kann dieser infolge früherer Abgrabungen und Aufschüttungen nicht mehr festgestellt werden, ist vom natürlichen Geländeverlauf der Umgebung auszugehen. Damit ist der seit Langem bestehende, weitgehend durch natürliche Prozesse entstandene Geländeverlauf Basis für die baurechtliche Beurteilung.

In unserem Fall wurde die IVHB erst im Laufe des Verfahrens durch die kommunale Bau- und Nutzungsordnung (BNO) implementiert. Die Nachbarn wollten in Hanglange u.a. eine Stützmauer direkt an die Grenze zum Grundstück unserer Mandantschaft bauen, bei die zulässige Höhe von 1,80 Meter umstritten war.

Das Verwaltungsgericht wendet in hängigen Verfahren betreffend Dauersachverhalte das neue, im Zeitpunkt seiner Entscheidung in Kraft stehende Recht an. Vorliegend profitiert unsere Mandantschaft davon, weil durch die neue strengere Vorschrift der natürlich gewachsene Geländeverlauf entscheidend ist. Gemäß Gericht ist aufgrund der eingereichten Bilder und der vorhandenen historischen Baugesuchsunterlagen davon auszugehen, dass das aktuelle Terrain nicht dem natürlich gewachsenen Geländeverlauf entspricht. Das Verwaltungsgericht heißt folglich die Beschwerde gut und weist die Sache zur besseren Abklärung an die Vorinstanz zurück (vgl. VGE vom 03.12.2018 i.S. WBE.2018.128).

 

 

 

Kündigung bei Krankheit: Sperrfrist beachten

Während einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit kann dem Arbeitnehmer während der Sperrfrist nicht gekündigt werden. Im konkreten Fall war der Arbeitnehmer schon mehrmals arbeitsunfähig; kaum war er wieder arbeitsfähig, ließ er sich jeweils wieder arbeitsunfähig schreiben.

Der Arbeitgeber fragt uns um Rat, wie er dem Arbeitnehmer gültig kündigen kann. Wir weisen auf den gesetzlichen Kündigungsschutz hin (vgl. Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR). Im 4. Dienstjahr beträgt die Sperrfrist 90 Tage, in denen eine allfällige Kündigung nichtig wäre. Daher muss der Arbeitgeber ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit 90 Tage warten, ehe er die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. vertraglichen Kündigungsdauer aussprechen darf (vgl. aber die komplizierte Rückwärtsrechnerei gemäß bundesgerichtlicher Praxis: BGE 134 III 354 ff.). Danach ist die Kündigung zulässig, auch wenn der Arbeitnehmer immer noch krank sein sollte.  Endet die Sperrfrist am 2. Tag des Monats und gilt eine dreimonatige Kündigungsfrist, beträgt die Kündigungsdauer also fast vier Monate.

Von der Kündigung ist die Lohnfortzahlungsfrist zu unterscheiden (vgl. Art. 324a OR).

Keine amtliche Verteidigung für Bagatellfälle

Unser Mandant M. hat gesundheitliche Probleme. Zu allem Übel wird er nun auch noch der Ehrverletzung beschuldigt. Die Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten gestützt auf eine Strafanzeige die liebsten beiden Dinge im Leben von M.: PC und Handy.

M. beauftragt uns, ihm im Strafverfahren beizustehen. Da er eine Rente der IV bezieht, stellen wir den Antrag auf amtliche Verteidigung. Diese sieht das Gesetz insbesondere für Fälle vor, in denen der Beschuldigte (a.) selbst nicht über die nötigen Mittel verfügt, um sich eine Verteidigung zu leisten, und sich (b.) tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten stellen, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist. Bei einem besonders schweren Eingriff in die Rechte des Beschuldigten wird der Anspruch regelmäßig bejaht bzw. werden die Schwierigkeiten angenommen. Grundsätzlich nicht gewährt wird die amtliche Verteidigung in sog. Bagatellfällen, d.h. wenn dem Beschuldigten im Falle einer Verurteilung weniger als 4 Monate Freiheitsstrafe oder 120 Tagessätze Geldstrafe drohen (vgl. Art. 132 StPO). Das Bundesgericht hält dazu aber fest, dass der Schwellenwert nicht sakrosankt ist und es mitunter auch in sog. Bagatellfällen zur Wahrung der Verteidigungsrechte nötig sein kann, eine amtliche Verteidigung zu bestellen (vgl. BGE 143 I 164 ff.; Bundesgerichtsurteil  1B_318/2018 vom 28. September 2018, E. 2.3). Diese Rechtsprechung hängt auch mit der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammen, die auch die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten hervorhebt (vgl. EGMR Quaranta gegen Schweiz vom 24. Mai 1991, 12744/87Quaranta).

Die Aargauer Staatsanwaltschaft ist regelmäßig zurückhaltend und hält nicht viel von professioneller Verteidigung. So lehnt sie auch in diesem Fall das Gesuch ab. Die potentielle Strafe bewege sich im Bagatellbereich.

Da anhand der vorliegenden Informationen eine Einstellung oder ein Freispruch wahrscheinlich ist, kann immerhin damit gerechnet werden, dass die Verteidigungskosten im Rahmen der frei gewählten Verteidigung von der Staatskasse übernommen werden. Diesbezüglich ist die Praxis des obersten Gerichts erstaunlich großzügig: Ein Bürger, der sich mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert sieht, sucht sich schnell einmal die Hilfe eines Strafverteidigers. Diese Kosten der beschuldigten Person „für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte“ sind im Falle einer späteren Einstellung nach Art. 429 Abs. 1 StPO grundsätzlich vom Staat zu übernehmen (vgl. BGE 138 IV 197, 200 ff. E. 2.3). Entscheidend ist, ob die Mandatierung des Anwalts an sich und dessen konkreter Aufwand angemessen sind. Die Entschädigung ist deshalb häufig auch dann auszurichten, wenn kein Fall notwendiger oder gebotener amtlicher Verteidigung vorliegt.