Mit Einspracherückzug der Staatsanwaltschaft zuvorgekommen

Unser Klient erhält einen Strafbefehl, mit dem er für diverse Straftaten zu einer Geldstrafe verurteilt wird. Weil er die Straftaten während der Probezeit für frühere Verurteilungen begangen hat, handelt es sich um eine unbedingt ausgefällte Gesamtstrafe. Nachdem wir an der Schuldfähigkeit Zweifel haben, erheben wir Einsprache gegen den Strafbefehl, lassen uns zum amtlichen Verteidiger ernennen und beantragen die gutachterliche Abklärung der Schuldfähigkeit (Art. 20 StGB).

Nach Vorliegen des Gutachtens stellt uns dieses die Staatsanwaltschaft zur Stellungnahme zu. Das Gutachten verneint wenig überraschend die Schuldfähigkeit komplett. Weil der Klient jedoch unter keinen Umständen in die gutachterlich vorgeschlagene stationäre Maßnahme unbekannter Dauer will, ziehen wir die Einsprache zurück. Das will nun die Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren und sie stellt mittels Verfügung die Wirkungslosigkeit der Einsprache fest.

Die dagegen erhobene Beschwerde (vgl. Art. 393 ff. StPO) heißt die Beschwerdekammer des Obergerichts gut. Es schließt sich unserer Auffassung an, wonach die Einsprache solange zurückgezogen werden kann, bis sich die Staatsanwaltschaft gemäß Art. 355 Abs. 3 StPO gegen eine Anklage entschieden hat. Würde sie, was dem Normalfall entspricht, mittels Überweisung Anklage erheben, könnte die Einsprache sogar noch an der Hauptverhandlung vor dem erstinstanzlichen Gericht zurückgezogen werden (vgl. Art. 356 Abs. 3 StPO). Hier war wohl ein Antrag auf ein selbständiges Maßnahmeverfahren gegen Schuldunfähige naheliegend (vgl. Art. 374 f. StPO), doch hatte sich die Staatsanwaltschaft dazu im Zeitpunkt des Einspracherückzugs noch gar nicht entschieden. Die Staatsanwaltschaft machte nichts anderes als ihre ursprünglich fehlerhafte Verfügung (Strafbefehl trotz Schuldunfähigkeit) in Wiedererwägung zu ziehen, was im Strafprozessrecht grundsätzlich nicht zulässig ist.

Unentgeltliche Rechtspflege bereits vor Prozess

Frau F. ist schon seit mehreren Jahren von ihrem Mann M. getrennt und will sich scheiden lassen. Die finanziellen Mittel von F. und M. sind sehr bescheiden. Als sie sich scheiden lassen will, ist für uns schnell klar, dass F. Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege hätte. Da die Verhältnisse überschaubar sind und eine Scheidungskonvention im Bereich des Möglichen liegt, besinnen wir uns auf die gesetzliche Möglichkeit, die staatliche Prozesskostenhilfe bereits vor Rechtshängigkeit zur Vorbereitung des Verfahrens zu beantragen (Art. 118 Abs. 1 Bst. c Satz 2 ZPO).

Gewährt wird die unentgeltliche Rechtsverbeiständung, d.h. die Unterstützung durch einen zugelassenen Anwalt, unter den üblichen Voraussetzungen, also bei Bedürftigkeit, Nicht-Aussichtslosigkeit und Notwendigkeit anwaltlicher Unterstützung aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten. Zudem muss ein gewisser Zusammenhang mit einem bevorstehenden Zivilprozess glaubhaft gemacht werden. Umstritten ist, ob dieser Zivilprozess gleichsam Bedingung ist, und was passiert, wenn später gar nie ein Zivilprozess stattfindet.

In unserem Fall gewährt der zuständige Einzelrichter die unentgeltliche Rechtsverbeiständung für Vergleichsverhandlungen für F. mit M. zwecks Ausarbeitung einer vollständigen oder teilweisen Scheidungskonvention. Uns gelingt es, beide Eheleute zu einem gemeinsamen Scheidungsbegehren zu bewegen, zwei Nebenpunkte einvernehmlich zu regeln und alsdann die Teilkonvention einzureichen (vgl. Art. 112 ZGB; Art. 285 ff. ZPO).

Obergericht systematisch zu knausrig

Schon lange sorgte die Strafkammer des Aargauer Obergerichts für Ärger bei amtlichen Verteidigern. Es kürzte die Entschädigung regelmäßig zum Teil massiv und dies erst noch ohne bzw. mit der immer gleichen, unhaltbaren Begründung. Dadurch setzte es im Ergebnis ohne gesetzliche Grundlage eine pauschale Entschädigung fest.

Am 5. Februar 2020 hieß das für Honorarbeschwerden von Verteidigern zuständige Bundesstrafgericht in Bellinzona (vgl. Art. 135 Abs. 3 Bst. b StPO) nicht weniger als 9 Beschwerden gegen Entschädigungsbeschlüsse des Aargauer Obergerichts gut (Verfügungen in den Verfahren BB.2020.5, BB.2020.1, BB.2019.280, BB.2019.269, BB.2019.256, BB.2019.209, BB.2019.203, BB.2019.118, BB.2019.77). Die Verfügung der Einzelrichterin im Verfahren BB.2020.1 betraf eine obergerichtliche Kürzung unseres Honorars um rund 40% in einem Berufungsverfahren betreffend gewerbsmäßigen Diebstahl und Landesverweisung. Das Obergericht hatte uns weder eine ausreichende Vorbereitungszeit noch eine angemessene Nachbesprechung entschädigen wollen.

Nur mit der uns zustehenden Entschädigung können wir unseren verfassungsmäßigen Auftrag erfüllen, bedürftige Beschuldigte effektiv zu verteidigen. Hoffen wir, dass das Obergericht seine Praxis überdenkt. Ohnehin ist es bemerkenswert, dass immer nur der Lohn eines von mehreren Akteuren, die ein rechtsstaatlich korrektes Verfahren garantieren, diskutiert wird.

Auf vielseitigen Wunsch aus dem Anwaltskollegium schalten wir unsere Beschwerde hier auf.

 

Unverständliche IV-Entscheide? Wir helfen

Gemäß einem aktuellen Medienbericht in der Aargauer Zeitung vom 14. Januar 2020 interpretiert die IV-Stelle Aargau das Kreisschreiben über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (KSME) des Bundesamts für Sozialversicherung mitunter eigenwillig. Sie verweigert offenbar bei Kindern mit der Krankheit Trisomie 21, die als Geburtsgebrechen Leistungsansprüche begründet, systematisch die Hippotherapie, auch wenn diese verordnet wurde und obwohl diese im Kreisschreiben vorgesehen und in aller Regel auch wirksam ist.

In solchen Fällen steht Ihnen unsere Rechtsanwältin lic. iur. Alexandra Meichssner mit ihrer langjährigen Erfahrung im Bereich der IV gerne zu Verfügung. Sie blickt durch das Dickicht der IV-Bestimmungen und hilft Ihnen, Ihre Ansprüche überhaupt zu kennen und bei Bedarf auch durchzusetzen.

Schikanestopp ist kein Raserdelikt

Im Fall mit der Video-Überwachung auf der A1 und A3 (vgl. Aktueller Fall vom 22. Dezember 2019) ist materiell die strafrechtliche Würdigung des Schikanestopps von Interesse. Das Gericht folgt unserem Eventualbegehren und würdigt den Schikanestopp „nur“ als grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG (nebst einer Nötigung in echter Konkurrenz). Es verwirft das Ansinnen der Staatsanwaltschaft, den konkreten Schikanestopp unseres Mandanten dem sog. „Rasertatbestand“ der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung von Art. 90 Abs. 3 SVG zu unterstellen.

Die Staatsanwaltschaft setzte sich mit ihrem Antrag zum einen in Widerspruch zu den Empfehlungen ihrer eigenen Oberstaatsanwaltschaft, die Schikanestopps als grobe Verkehrsregelverletzungen betrachten (vgl. Strafbefehlsempfehlungen OStA AG 2019, Ziff. 5.5). Zum anderen widerspräche die Subsumierung unter eine qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die bislang Schikanestopps als grobe Verkehrsregelverletzung betrachtete (vgl. BGE 137 IV 326, 332 E. 3.6).

In konkreten Fall sieht man auf der – wenn auch illegalen – Video-Überwachung, wie unser Mandant und sein Kumpel auf der wenig befahrenen A3 im Schinznacher Feld nach mehreren vorangegangenen Provokationen durch einen deutschen Audi fast gleichzeitig bis zum Stillstand bremsen, aussteigen und den Audi anhalten wollen. Dieser kann nach kurzem Stillstand über die Notspur weiterfahren. Die ersten unbeteiligten nachfolgenden Fahrzeuge erscheinen erst ca. 10 Sekunden später. Es gelingt uns, u.a. mit dem gerichtlichen Gutachten aufzuzeigen, dass der erste nachfolgende Personenwagen auf der übersichtlichen Strecke fast den dreifachen Anhalteweg zur Verfügung hatte. Damit ist die vom Bundesgericht für den „Rasertatbestand“ vorausgesetzte besonders naheliegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung nicht gegeben. Das „hohe Risko eines Unfalles mit Schwerverletzten oder Todesopfern“ , wie es Art. 90 Abs. 3 SVG verlangt, war objektiv und subjektiv nicht gegeben, schon gar nicht war der Erfolgseintritt vergleichsweise nahe (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_698/2017 vom 13. Oktober 2017, E. 5.2).

Auch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine sog. fakultative Landesverweisung lehnt das Gericht ab. Jeder Ausländer kann bei einer Verurteilung wegen eines Vergehens oder Verbrechens ausgewiesen werden. Eine Landesverweisung ist also nicht nur bei den sog. Katalogtaten von Art. 66a StGB obligatorisch, sondern kann vom Gericht fast immer angeordnet werden (vgl. Art. 66a bis StGB). Bei dem gut integrierten, erwerbstätigen verheirateten EU-Ausländer gewichtet das Gericht indes das persönliche Interesse am Verbleiben in der Schweiz höher als das öffentliche Interesse an einer Fernhaltemaßnahme.

Video-Überwachung auf der A1 und A3 ohne Grundlage

Als Anwalt ist man mit der Zeit vielleicht etwas abgebrüht. Doch hin und wieder staunt man auch im gesetzteren Alter noch, wozu Politik, Regierung und Justiz fähig sind. So erging es uns hier, als uns die Polizei im Rahmen einer notwendigen Verteidigung minutenlange Video-Sequenzen von Überwachungskameras auf der A1 und A3 vorführte, von deren Existenz uns nichts bekannt war und die es gar nicht geben dürfte.

Ausgangslage: Zwei Frauen melden unabhängig von einander, dass sich auf der A3 im Bözberg-Tunnel drei Personenwagen gegenseitig provozieren und mit viel zu wenig Abstand hintereinander fahren würden. Da die Zeuginnen das Kennzeichen durchgeben, kann die Polizei wenige Minuten später die Übeltäter ausfindig machen.

Doch die Ermittlungen konzentrieren sich von Anfang an nicht auf das SVG-Delikt im Bözberg-Tunnel. Denn Minuten nach dem Notruf sicherte die Polizei Video-Aufzeichnungen vom Baregg-Tunnel auf der A1 bis zum Ende des Bözberg-Tunners auf der A3, also auf einer Länge auf ca. 20 km. Dabei stellte sie mehrere andere SVG-Widerhandlungen der drei Fahrzeuge fest, so insbesondere einen sog. „Schikane-Stopp“ im Schinznacher Feld. Von diesen Widerhandlungen war aufgrund des Notrufs bislang nichts bekannt gewesen.

Die Ermittlungen nehmen Ihren Gang, Zeugen werden befragt, ein Gutachten des Bundesamts für Metrologie wird eingeholt etc. Im Rahmen der Hauptverhandlung beantragt die Verteidigung, die meisten Beweise als unverwertbar aus den Akten zu weisen. Die Überwachung mittels optisch-elektronischer Anlagen sei nämlich ohne Rechtsgrundlage erfolgt. Denn auch wenn nicht gleich intensiv wie im Thurgauer Auto-Scanning-Fall (Bundesgerichtsurteil 6B_908/2018 vom 7. Oktober 2019) in die Freiheitsrechte eingegriffen werde, sei dennoch eine hinreichend bestimmte generell-abstrakte Grundlage niederer Stufe erforderlich. Weil eine solche aber eben fehle und es nicht um die Aufklärung schwerer Straftaten gehe, sei folglich die Überwachung unverwertbar. Und weil sich die meisten nachfolgenden Beweise auf die unverwertbare Überwachung stützten, seien selbstredend auch diese aufgrund der Fernwirkung von Beweisverboten unverwertbar (vgl. Art. 141 StPO).

Für die sicherheitspolizeiliche Tätigkeit gelten das kantonale Polizei- und Datenschutzgesetz. Im geltenden Polizeigesetz findet sich nebst einer allgemeinen Norm freilich nur die Ermächtigung der Polizei, bei öffentlichen Veranstaltungen und Kundgebungen Aufzeichnungen zu machen (vgl. § 36 PolG/AG). Gemäß Datenschutzgesetz können zwar öffentliche Straßen mit optisch-elektronischen Anlagen überwacht werden, doch bedarf es dazu einer Bewilligung der Datenschutzbeauftragten (vgl. § 20 IDAG/AG). Eine solche Bewilligung gibt es vorliegend jedoch schlicht nicht und würde es gemäß den Richtlinien der Datenschutzbeauftragten auch nicht geben (vgl. Merkblatt vom 05. August 2015). Auf unsere Nachfrage behauptet die kantonale Datenschutzbeauftragte entgegen ihrem eigenen Merkblatt, für Autobahnen seien die Bundesbehörden zuständig, was diese mit dem Hinweis kontern, soweit kantonale Organe wie hier die Daten erheben, sei der Kanton zuständig.

Dessen ungeachtet, verurteilt das erstinstanzliche Gericht unseren Mandanten gleich wegen aller angeklagter Delikte. Als Rechtsgrundlage für die Video-Überwachung zieht das Gericht fälschlicherweise die Straßenkontrollverordnung und allen Ernstes eine EG-Richtlinie heran. Unser ausländischer Mandant akzeptiert vorbehältlich der Anschlussberufung das Urteil, weil es in zwei wichtigen Punkten seinen Vorstellungen entspricht (dazu später mehr).

Anders schaut es übrigens aus, wenn die Polizei aus konkretem Anlass im Rahmen der Nachfahrkontrolle ein Video erstellt; diese Aufnahmen sind grundsätzlich verwertbar (vgl. Bundesgerichtsurteil 6B_1203/2019 vom 29. November 2019).

Auch Ersatzmaßnahmen nur bei besonderem Haftgrund

A. beschuldigt ihren Mann B., sie am Telefon mit dem Tod bedroht zu haben. Er kommt in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft ordnet ein Gefährlichkeitsgutachten an. Nach dessen Vorliegen stellt sie dem Zwangsmaßnahmengericht den Antrag, B. sei unter Anordnung von mehreren Ersatzmaßnahmen aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Als amtliche notwendige Verteidigung beantragen wir, B. sei ohne Ersatzmaßnahmen umgehend in die Freiheit zu entlassen. Das Gefährlichkeitsgutachten verneine eine Ausführungsgefahr und die mögliche Wiederholungsgefahr scheitere am Vortatenerfordernis.

Das Zwangsmaßnahmengericht sieht es genauso und entlässt B. ohne Ersatzmaßnahmen in die Freiheit. B. werde eine günstige Prognose gestellt. Der Gutachter gehe nicht davon aus, dass B. seine Drohung umsetzen werde. In der spezifischen Täter-Opfer-Konstellation sei zwar mit weiteren heiklen Interaktionen zu rechnen. Doch B. sei nicht einschlägig vorbestraft und vorliegend rechtfertige es sich nicht, im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auf das Vortatenerfordernis gänzlich zu verzichten und die Vortat ausschließlich aus dem aktuellen Strafverfahren abzuleiten (vgl. BGE 143 IV 9 ff.).

Untersuchungshaft als massiver Eingriff in die persönliche Freiheit ist nur zulässig, wenn ein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines Vergehens oder Verbrechens besteht und kumulativ einer der besonderen Haftgründe vorliegt (Verdunkelungsgefahr, Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr, Ausführungsgefahr; Art. 221 StPO). Wiederholungsgefahr setzt nach dem Gesetzeswortlaut voraus, dass die beschuldigte Person bereits früher mindestens zwei gleichartige Taten begangen hat. Das Bundesgericht lässt jedoch je nach Schwere der Vorwürfe auch nur eine Vortat genügen oder akzeptiert, dass nicht frühere Taten, sondern die im aktuellen Verfahren zu untersuchende Tat als Vortat herangezogen wird, wenn eine Verurteilung sehr wahrscheinlich ist; in Extremfällen hat das Bundesgericht auch schon ganz auf das Vortatenerfordernis verzichtet, wenn eine sehr ungünstige Prognose besteht und die Freiheit des mutmaßlichen Täters für die Öffentlichkeit ein untragbares Risiko bedeuten würde (vgl. BGE 143 IV 9 ff.).

Fehlt es aber, wie hier, an der Wiederholungsgefahr, besteht kein Raum für Untersuchungshaft. Und sind die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht erfüllt, kommen Ersatzmaßnahmen von vornherein nicht in Frage. Ersatzmaßnahmen sind mildere Mittel, die denselben Zweck wie die Untersuchungshaft anstelle der Untersuchungshaft erreichen; die Anordnung von Ersatzmaßnahmen ist eine „lehrbuchartige“ Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips (vgl. Art. 237 StPO). Vorliegend wäre B. sogar bereit, freiwllig mehrere der verlangten Ersatzmaßnahmen wie z.B. Ein- und Ausgrenzung (vgl. Art. 237 Abs. 2 Bst. c StPO) zu befolgen, doch ist deren Anordnung im Rahmen strafprozessualer Zwangsmaßnahmen nicht zulässig.

Buchempfehlung aus aktuellem Anlass

Vor 30 Jahren besiegelte SED-Sekretär Günter Schabowski das Schicksal des ersten und hoffentlich letzten sozialistischen deutschen Staates mit seiner legendären Pressekonferenz in Ost-Berlin endgültig.

Wer sich für die Anwaltschaft in der DDR interessiert, dem sei das Buch „Im goldenen Käfig“ von Christian Booß empfohlen. Es beschreibt, wie sich Anwälte in einem totalitären System namentlich im „Kollegium“ einrichten konnten oder mussten, wie der „sozialistische Anwalt“ die Verurteilung des Beschuldigten nicht gefährden durfte, wie unverschämt kapitalistisch Anwälte im Osten abzocken konnten, wie das MfS aufmüpfige Anwälte diskreditierte oder systemtreue Anwälte instrumentalisierte (Beispiel „Kanzlei Vogel“) etc.

Christian Booß, Im goldenen Käfig, Zwischen SED, Staatssicherheit, Justizministerium und Mandant – die DDR-Anwälte im politischen Prozess, Göttingen 2017, Band 48 der wissenschaftlichen Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)

 

Invalidenrente neu bei Suchterkrankung

Eine Suchterkrankung führte bisher nicht zu einem Rentenanspruch gegenüber der Invalidenversicherung. Relevant wurde die Sucht erst, wenn sie eine Krankheit oder einen Unfall bewirkte oder die Folge eines solches Ereignisses war, so dass die Erwerbsfähigkeit beeinträchtig wurde.

Diese Rechtsprechung wurde mit Bundesgerichtsurteil 9C_724/2018 vom 11. Juli 2019 aufgegeben. Neu sind nachvollziehbar diagnostizierte Abhängigkeitssyndrome bzw. Substanzkonsumstörungen grundsätzlich als invalidenversicherungsrechtlich beachtliche psychische Gesundheitsschäden versichert. Die Diagnose allein genügt für einen Rentenanspruch aber nicht. Vielmehr sind die Auswirkungen des bestehenden Gesundheitsschadens auf die funktionelle Leistungsfähigkeit im Einzelfall für die Rechtsanwendenden nachvollziehbar ärztlich festzustellen (Art. 7 Abs. 2 ATSG; BGE 143 V 409, 412 f. E. 4.2.1 mit Hinweisen). Die Frage nach den Auswirkungen sämtlicher psychischer Erkrankungen auf das funktionelle Leistungsvermögen ist grundsätzlich unter Anwendung des strukturierten Beweisverfahrens zu beantworten (BGE 141 V 281 ff.). Hierzu gehören auch Abhängigkeitssyndrome. Dabei muss insbesondere dem Schweregrad der Abhängigkeit im konkreten Einzelfall Rechnung getragen werden. Zudem muss eine krankheitswertige Störung muss umso ausgeprägter vorhanden sein, je stärker psychosoziale oder soziokulturelle Faktoren das Beschwerdebild mitprägen (BGE 127 V 294, 229 E. 5a).

Aus Gründen der Verhältnismässigkeit kann immerhin dort von einem strukturierten Beweisverfahren abgesehen werden, wo es nicht nötig oder geeignet ist. Es bleibt dann entbehrlich, wenn für eine länger dauernde Arbeitsunfähigkeit (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG) keine Hinweise bestehen oder eine solche im Rahmen beweiswertiger fachärztlicher Berichte in nachvollziehbar begründeter Weise verneint wird und allfälligen gegenteiligen Einschätzungen mangels fachärztlicher Qualifikation oder aus anderen Gründen kein Beweiswert beigemessen werden kann (BGE 143 V 409, 417 E. 4.5.3).

 

Cinque stelle? Wir sind besser!

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