Krankentaggelder und IV

Die Taggeldversicherung stellt ihre Leistungen ein, nachdem die Invalidenversicherung (IV) ihre Leistungspflicht mit Vorbescheid verneint hat. Grund ist, dass die IV eine volle medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit und keine genügende Erwerbseinbuße feststellt.

Die Taggeldversicherung richtet ihre Leistungen wieder aus, nachdem wir sie darauf hingewiesen haben, dass erstens keine Bindungswirkung zwischen dem IV-Entscheid und der Taggeldversicherung bestehe und dass sie sich zweitens nicht voraussetzungslos auf die Schadenminderungspflicht berufen kann.

Die Taggeldzahlungen darf ihre Leistungen nicht einzig mit Verweis auf den negativen IV-Entscheid einstellen. Anders als die IV, welche die Erwerbsunfähigkeit versichert und die medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit in einer Verweistätigkeit von Anfang an berücksichtigt, ist die Taggeldversicherung an die Arbeitsfähigkeit gebunden, die sich auf die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit bezieht. Das medizinisch-theoretisch zumutbare Belastbarkeitsprofil darf die Taggeldversicherung erst nach langer Dauer der Arbeitsfähigkeit mitberücksichtigen. Die Taggeldversicherung darf sich nicht voraussetzungslos auf die Schadenminderungspflicht des Arbeitnehmers berufen. Sie muss dem Arbeitnehmer zu einem Berufswechsel auffordern und ihm eine angemessene Anpassungszeit einräumen. Dabei muss sie konkret zumutbare Stellen nennen und aufzeigen, dass diese auch tatsächlich verfügbar sind. Anders als die IV darf sie sich dabei nicht auf den ausgeglichenen, sondern muss sich auf den konkreten Arbeitsmarkt beziehen.

Auch nach Vollzug des Berufwechsels, also wenn der Arbeitnehmer eine neue Stelle gefunden hat, erlischt die Leistungspflicht der Taggeldversicherung nicht automatisch. Die Taggeldversicherung muss den Anspruch auf ein sogenanntes Resttaggeld prüfen, wenn der Arbeitnehmer in der neuen Stelle im Vergleich zur ursprünglichen (und versicherten) Stelle weniger verdient. Die höheren Anforderungen an die Schadenminderungspflicht sind unter anderem in der klar definierten und relativ kurzen Leistungsdauer begründet.

Natürlich gewachsener Geländeverlauf

Im alten Aargauer Baurecht war für die Höhenbestimmungen der bei Baugesuch bestehende Verlauf des Bodens relevant. Auf frühere Verhältnisse war nur dann zurückzugreifen, wenn das Terrain im Hinblick auf das aktuelle Bauvorhaben aktiv verändert worden war. Entsprechende Manipulationen waren einer Bauherrschaft selten nachzuweisen. So konnte mitunter höher als eigentlich zulässig gebaut werden.

Neu gilt gemäß dem Interkantonalen Konkordat über die Harmonisierung der Baubegriffe (IVHB) als maßgebendes Terrain der natürlich gewachsene Geländeverlauf. Kann dieser infolge früherer Abgrabungen und Aufschüttungen nicht mehr festgestellt werden, ist vom natürlichen Geländeverlauf der Umgebung auszugehen. Damit ist der seit Langem bestehende, weitgehend durch natürliche Prozesse entstandene Geländeverlauf Basis für die baurechtliche Beurteilung.

In unserem Fall wurde die IVHB erst im Laufe des Verfahrens durch die kommunale Bau- und Nutzungsordnung (BNO) implementiert. Die Nachbarn wollten in Hanglange u.a. eine Stützmauer direkt an die Grenze zum Grundstück unserer Mandantschaft bauen, bei die zulässige Höhe von 1,80 Meter umstritten war.

Das Verwaltungsgericht wendet in hängigen Verfahren betreffend Dauersachverhalte das neue, im Zeitpunkt seiner Entscheidung in Kraft stehende Recht an. Vorliegend profitiert unsere Mandantschaft davon, weil durch die neue strengere Vorschrift der natürlich gewachsene Geländeverlauf entscheidend ist. Gemäß Gericht ist aufgrund der eingereichten Bilder und der vorhandenen historischen Baugesuchsunterlagen davon auszugehen, dass das aktuelle Terrain nicht dem natürlich gewachsenen Geländeverlauf entspricht. Das Verwaltungsgericht heißt folglich die Beschwerde gut und weist die Sache zur besseren Abklärung an die Vorinstanz zurück (vgl. VGE vom 03.12.2018 i.S. WBE.2018.128).

 

 

 

Kündigung bei Krankheit: Sperrfrist beachten

Während einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit kann dem Arbeitnehmer während der Sperrfrist nicht gekündigt werden. Im konkreten Fall war der Arbeitnehmer schon mehrmals arbeitsunfähig; kaum war er wieder arbeitsfähig, ließ er sich jeweils wieder arbeitsunfähig schreiben.

Der Arbeitgeber fragt uns um Rat, wie er dem Arbeitnehmer gültig kündigen kann. Wir weisen auf den gesetzlichen Kündigungsschutz hin (vgl. Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR). Im 4. Dienstjahr beträgt die Sperrfrist 90 Tage, in denen eine allfällige Kündigung nichtig wäre. Daher muss der Arbeitgeber ab Beginn der Arbeitsunfähigkeit 90 Tage warten, ehe er die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen bzw. vertraglichen Kündigungsdauer aussprechen darf (vgl. aber die komplizierte Rückwärtsrechnerei gemäß bundesgerichtlicher Praxis: BGE 134 III 354 ff.). Danach ist die Kündigung zulässig, auch wenn der Arbeitnehmer immer noch krank sein sollte.  Endet die Sperrfrist am 2. Tag des Monats und gilt eine dreimonatige Kündigungsfrist, beträgt die Kündigungsdauer also fast vier Monate.

Von der Kündigung ist die Lohnfortzahlungsfrist zu unterscheiden (vgl. Art. 324a OR).

Keine amtliche Verteidigung für Bagatellfälle

Unser Mandant M. hat gesundheitliche Probleme. Zu allem Übel wird er nun auch noch der Ehrverletzung beschuldigt. Die Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten gestützt auf eine Strafanzeige die liebsten beiden Dinge im Leben von M.: PC und Handy.

M. beauftragt uns, ihm im Strafverfahren beizustehen. Da er eine Rente der IV bezieht, stellen wir den Antrag auf amtliche Verteidigung. Diese sieht das Gesetz insbesondere für Fälle vor, in denen der Beschuldigte (a.) selbst nicht über die nötigen Mittel verfügt, um sich eine Verteidigung zu leisten, und sich (b.) tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten stellen, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist. Bei einem besonders schweren Eingriff in die Rechte des Beschuldigten wird der Anspruch regelmäßig bejaht bzw. werden die Schwierigkeiten angenommen. Grundsätzlich nicht gewährt wird die amtliche Verteidigung in sog. Bagatellfällen, d.h. wenn dem Beschuldigten im Falle einer Verurteilung weniger als 4 Monate Freiheitsstrafe oder 120 Tagessätze Geldstrafe drohen (vgl. Art. 132 StPO). Das Bundesgericht hält dazu aber fest, dass der Schwellenwert nicht sakrosankt ist und es mitunter auch in sog. Bagatellfällen zur Wahrung der Verteidigungsrechte nötig sein kann, eine amtliche Verteidigung zu bestellen (vgl. BGE 143 I 164 ff.; Bundesgerichtsurteil  1B_318/2018 vom 28. September 2018, E. 2.3). Diese Rechtsprechung hängt auch mit der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zusammen, die auch die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten hervorhebt (vgl. EGMR Quaranta gegen Schweiz vom 24. Mai 1991, 12744/87Quaranta).

Die Aargauer Staatsanwaltschaft ist regelmäßig zurückhaltend und hält nicht viel von professioneller Verteidigung. So lehnt sie auch in diesem Fall das Gesuch ab. Die potentielle Strafe bewege sich im Bagatellbereich.

Da anhand der vorliegenden Informationen eine Einstellung oder ein Freispruch wahrscheinlich ist, kann immerhin damit gerechnet werden, dass die Verteidigungskosten im Rahmen der frei gewählten Verteidigung von der Staatskasse übernommen werden. Diesbezüglich ist die Praxis des obersten Gerichts erstaunlich großzügig: Ein Bürger, der sich mit strafrechtlichen Vorwürfen konfrontiert sieht, sucht sich schnell einmal die Hilfe eines Strafverteidigers. Diese Kosten der beschuldigten Person „für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte“ sind im Falle einer späteren Einstellung nach Art. 429 Abs. 1 StPO grundsätzlich vom Staat zu übernehmen (vgl. BGE 138 IV 197, 200 ff. E. 2.3). Entscheidend ist, ob die Mandatierung des Anwalts an sich und dessen konkreter Aufwand angemessen sind. Die Entschädigung ist deshalb häufig auch dann auszurichten, wenn kein Fall notwendiger oder gebotener amtlicher Verteidigung vorliegt.

Verjährung der Nachbesserung beim Werkvertrag

Unsere Klientschaft lebt seit vielen Jahren mit undichten Fenstern und hoffte bis zuletzt, der Lieferant werde sie flicken. In der langjährigen Auseinandersetzung hat nun aber das Bundesgericht die Einrede der Verjährung des Unternehmers geschützt (vgl. Bundesgerichtsurteil 4A_111/2018 vom 5. Oktober 2018). Damit hat dieser für die Mängel an der Fensterkonstruktion nicht geradezustehen. Der Bauherrschaft wird zum Verhängnis, dass sie sich zu lange hat hinhalten lassen und darauf vertraut hat, die teilweise gemeinsam getroffenen Maßnahmen würden Abhilfe schaffen. Der Mangel an sich ist inzwischen nachgewiesen.

Beim Werkvertrag verjähren die Mängelrechte innerhalb von 5 Jahren ab Abnahme, sofern es sich um ein unbewegliches Werk bzw. ein bewegliches Werk handelt, das bestimmungsgemäß in ein unbewegliches Werk integriert worden ist (vgl. Art. 371 OR). Die in der Baubranche verbreitete Norm SIA-118 des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) enthält ähnliche Bestimmungen. Die Verjährung kann vor ihrem Eintritt z.B. durch Anerkennung des Unternehmers unterbrochen werden (vgl. Art 135 OR). Nicht jede Handlung des Unternehmers stellt jedoch eine konkludente Anerkennung seiner Haftung dar. Wer zwar bei der Mangelbeseitigung mehr schlecht als recht mitwirkt, gleichzeitig jedoch darauf hinweist, er hafte nicht, anerkennt die Ansprüche des Bauherrn nicht.

Daher ist der Bauherr im Zweifelsfall gut beraten, die Verjährung rechtzeitig zu unterbrechen oder zumindest die  Hilfe eines spezialisierten Anwalts in Anspruch nehmen.

Vgl. auch iusfocus 12/2018 Nr. 299

 

Erfolgreiche paulianische Anfechtung gegen Ehefrau

Geschäftsmann X. hat kein gutes Händchen, was Unternehmen angeht. Eines nach dem anderen geht pleite. Die Ausgleichskasse AHV des entsprechenden Kantons erlässt gestützt auf Art. 52 AHVG Schadenersatzverfügungen, weil X. als ehemaliges Organ für die nicht abgeführten Sozialbeiträge haftet. Just als die Verfügungen ins Haus zu flattern beginnen, schenkt X. seiner Ehefrau Y. seine Gesamthandanteile an den beiden Liegenschaften der Eheleute. Ehefrau Y. ist nun Alleineigentümerin und die Betreibungen gegen X. enden erst recht in Verlustscheinen; die Ausgleichskasse kann sich vorerst mehr als eine halbe Million Franken ans Bein streichen.

Gemeinsam mit der Ausgleichskasse prüfen wir die Möglichkeiten, doch noch zu etwas Geld zu kommen. Wir reichen eine sog. paulianische Anfechtungsklage gegen die Ehefrau Y. ein. Dieses rein betreibungsrechtliche Institut zielt auf die Wiederbeschaffung entäußerter Vermögenswerte des Schuldners ab, ohne dass es materiellrechtliche Wirkungen hätte. Die Ehefrau Y. soll vorliegend also weiterhin Eigentümerin bleiben, doch sie soll die Verwertung der ihr geschenkten Vermögenswerte dulden müssen (vgl. Art. 285 ff. SchKG).

Die „actio Pauliana“ existiert im Schweizer Recht in drei Erscheinungsformen: Schenkungspauliana (Art. 286 SchKG), Überschuldungspauliana (Art. 287 SchKG), Absichts- oder Deliktspauliana (Art. 288 SchKG). Bei unserer Anfechtungsklage handelt es sich um eine Absichtspauliana, mit der wir die Rückführung im Sinne einer Duldung durch Y. der hälftigen Gesamthandsanteile ins Vollstreckungssubstrat von X. beantragen. Wir müssen dabei die vermögensschädigende Rechtshandlung durch X., deren Vornahme innerhalb einer sog. Verdachtsperiode von 5 Jahren vor der Pfändung, die Absicht von X., seine Gläubiger zu schädigen und die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht durch Y. beweisen. Weil Y. die Ehefrau von X. ist, wird immerhin die Erkennbarkeit der Schädigungsabsicht vermutet (Art. 288 Abs. 2 SchKG).

Das Gericht erster Instanz am Wohnsitz von Y. (vgl. Art. 289 SchKG) heißt die Klage vollumfänglich gut und ordnet die Vollstreckung gegen Y. an. Die Liegenschaften sind aufgrund von Beschlagnahmebefehlen in einem Strafverfahren gegen X. mit einer Grundbuchsperre belegt (vgl. Art. 56 GBV). Eine allfällige strafrechtliche Verwertung wird wahrscheinlich vorgehen (vgl. Art. 44 SchKG).

Kein weiteres IV-Gutachten trotz ärztlicher Kritik

In der Invalidenversicherung wie generell in der Sozialversicherung ist die gutachterliche Abklärung von Gesuchstellern besonders wichtig (vgl. Art. 43 f. des Bundesgesetztes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts [ATSG]).

Was dann aber einmal im Gutachten steht, kann kaum mehr in Frage gestellt werden. Selbst wenn ein externer, ausgewiesener Facharzt die Ursachen der psychiatrischen Beschwerden als somatisch bedingt erkennt, taxiert das Bundesgericht dessen Expertise als nicht relevante, abweichende Zweitmeinung. Wie unser Mandant in einem aktuellen Fall erfahren musste, gilt dies sogar dann, wenn sich die Gutachter mit der Möglichkeit einer somatischen Ursache der Beschwerden nie auseinandergesetzt haben. Ein formell korrekt erstelltes Gutachten genießt somit höheren Beweiswert als eine inhaltlich überzeugende, aber nicht gutachterlich erstellte Einschätzung. Oder kurz: Form geht vor Inhalt.

Das Bundesgericht weist im konkreten Fall unsere Beschwerde mit Urteil vom 16. August 2018 ab.

Von entscheidender Bedeutung ist daher, bereits vor der Erstellung des Gutachtens, d.h. bei Auswahl der Gutachter und bei der Formulierung der Fragen, vorsichtig zu sein.

 

Beiträge für sanierte Quartierstraße

K. erwirbt drei Grundstücke mit Abbruchsobjekten. Rasch erhält sie die Baubewilligung für den Neubau von Mehrfamilienhäusern auf dem neu zusammengelegten Grundstück. In der Baubewilligung kündigt die Gemeinde an, dass die Erschließungsstraße den Anforderungen nicht genüge und daher neu gestaltet werden müsse. In der Folge legt sie ein Straßenbauprojekt und einen Beitragsplan für eine totalsanierte Straße auf. Weil K. mit der Forderung der Gemeinde nicht einverstanden ist, gelangt sie an uns.

Wir erheben zunächst Einsprache bei der Gemeinde und anschließend Beschwerde beim Spezialverwaltungsgericht. Anlässlich der Augenscheinsverhandlung schlägt der Vorsitzende einen Vergleich vor, den die Parteien annehmen. Das Beschwerdebegehren von K. wird faktisch größtenteils akzeptiert und der Beitrag von K. an die Gemeinde reduziert.

Erwächst einem Privaten durch ein öffentliches Werk, z.B. eine Straße, ein wirtschaftlicher Sondervorteil, muss er sich an den Kosten beteiligen. Die Begründung liegt darin, dass er mehr als die Allgemeinheit von dem Werk profitiert. Für Quartiererschließungsstraßen zwecks Feinerschließung kann der Anteil der Anstößer bis 100 % betragen (vgl. § 34 BauG; Art. 6 WEG). In unserem Fall genügt die Straße den modernen Anforderungen nicht mehr. Weil sie neu erstmals mit einer richtigen Fundation, Randabschlüssen und einer Entwässerung versehen wird, gilt die Erneuerung als erstmalige und damit beitragspflichtige Erschließung.

Das akzeptiert K. im Grundsatz. Sie ist hingegen nicht einverstanden mit der Höhe der Beitragspflicht, insbesondere dass sie für eine Teilfläche des Grundstücks  mehr bezahlen müsste. Die Gemeinde ist der Auffassung, die Grundstücke seien aufgrund der großen Umschwünge und der ungenutzten Abbruchliegenschaften teilweise unüberbaut, weshalb praxisgemäß eine bis 50 % höhere Belastung als für bereits überbaute Grundstücke resultiere (konkret Anteil 100 % anstatt 66,7 % wie für die anderen Anwohner; vgl. AGVE 2014 Nr. 114). Weil aber der Beitragsplan zeitgleich mit der Baubewilligung aufgelegt worden ist, erblickt das Gericht den relevanten aktuellen Zustand in der Situation mit der unmittelbar zuvor bewilligten Überbauung; folglich geht sie von einem überbauten Grundstück aus und reduziert K.s Anteil.

Unterhaltsvertrag als provisorischer Rechtsöffnungstitel

Bei der Trennung halten die Eheleute in einer schriftlichen Vereinbarung u.a. fest, dass der Mann für die Kinder monatlich einen bestimmten Unterhaltsbetrag an die Mutter bezahlt. Ein Jahr später kürzt der Mann den Betrag einseitig, weil die Frau nun angeblich mehr verdiene. Als Vertretung der Frau fordern wir den Mann auf, die Differenz nachzubezahlen oder alternativ eine gerichtliche Anpassung des Unterhalts zu erwirken. Im Übrigen lebe er neu in einer lebensähnlichen Gemeinschaft, was seinen Bedarf reduziere und den geringen Mehrverdienst der Frau egalisiere.

Als nichts geschieht und der Mann nicht einmal mehr das gemeinsame Scheidungsbegehren unterzeichnen will, betreiben wir ihn für die Differenzbeträge. Anstatt rasch eine gerichtliche Klärung mittels Eheschutzbegehren zu erwirken, wehrt er sich und erhebt Rechtsvorschlag (Art. 74 SchKG). Das veranlasst uns, für die Frau und Unterhaltsgläubigerin ein Begehren um provisorische Rechtsöffnung zu stellen (Art. 82 SchKG). Das Rechtsöffnungsverfahren ist eine schweizerische Besonderheit und ermöglicht es dem Gläubige, in einem sehr schlanken, schnellen  und kostengünstigen Verfahren – im summarischen Verfahren (vgl. Art. 251 ZPO) – die Zwangsvollstreckung zu erwirken. Es setzt aber voraus, dass mindestens eine schriftliche Schuldanerkennung des Schuldners vorliegt, in der er sich bedingungslos zur Zahlung eines bestimmten Betrages an den Gläubiger verpflichtet. Bei vollkommen zweiseitigen Verträgen stehen dem Schuldner allerdings mehrere Einwendungen offen, welche die Vorteile der Rechtsöffnung schmälern.

Der Mann wendet ein, nach dem Berner Kommentar (1999) und gemäß einer Entscheidung des Aargauer Obergerichts (2003) könne er jederzeit einseitig erklären, sich nicht mehr an die Unterhaltsverpflichtung zu halten; er sei nur auf Zusehen hin daran gebunden. Er übersieht freilich den entscheidenden Punkt: Hat er sich einmal schriftlich verpflichtet, muss er selbst aktiv werden, um den seiner Meinung nach nicht mehr angemessenen Unterhaltsbetrag anpassen zu lassen. Die Möglichkeit, einseitig zurückzutreten, meint nur, dass der Mann den Unterhaltsbetrag für die Zukunft entweder mit einer einvernehmlichen Regelung mit der Frau oder aber durch Gerichtsurteil anpassen kann. Das Bundesgericht hat dies mehrfach bestätigt und die vom Mann zitierte Meinung im Berner Kommentar verworfen (vgl. Bundesgerichtsurteil 5A_372/2014 vom 23. Oktober 2014, E. 2.5).

Die Rechtsöffnungsrichterin im Kanton Solothurn teilt unsere Auffassung und heißt das Rechtsöffnungsbegehren für die Frau gut. Der Mann muss bis auf weiteres die ursprünglich vereinbarten Unterhaltsbeiträge bezahlen und kann im Bedarfsfall monatlich neu betrieben werden.

 

 

Mann in Schacht überfahren: fahrlässige Tötung?

In einem tragischen Verkehrsunfall kommt ein Bauarbeiter ums Leben, als er in einem offenen Schacht Messungen vornimmt. Unsere Mandantin übersieht in der ihr bestens bekannten Quartierstraße sowohl den offenen Schacht als auch den Mann, der gemäß forensischen Erkenntnissen beim Aufprall ca. 40 – 60 cm über die Straßenfläche herausschaut. Sie vernimmt ein Rumpeln, fährt rückwärts und sieht nach ihren Angaben nichts Außergewöhnliches. Daher fährt sie weiter, ohne sich um das Opfer zu kümmern.

Nach einem umfangreichen Vorverfahren mit Tatrekonstruktion und Visualisierung erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117 StGB) und qualifizierter Führerflucht (Art. 92 Abs. 2 SVG). Wir sind der Auffassung, dass der Kausalverlauf und der Tod eines Menschen für die Lenkerin nicht vorhersehbar gewesen ist. Außerdem hat sie an der anspruchsvollen Kreuzung mit starker Neigung und Unübersichtlichkeit nichts falsch gemacht, erst recht nicht, weil die kleine Baustelle überhaupt nicht gesichert oder gekennzeichnet war. Und wenn nicht erwiesen ist, ob der Mann für die Beschuldigte überhaupt irgendwann sichtbar war, hätte sie den Unfall nicht verhindern können.

Das Gericht sieht es anders und verurteilt die Lenker zu 12 Monaten Freiheitsstrafen auf Bewährung. Überdies muss sie der Witwe des Mannes eine Genugtuung bezahlen. Die Lenkerin akzeptiert das erstinstanzliche Urteil.

Über den Fall berichteten die Zeitung und das Lokalfernsehen.